Die verschnörkelten Türen der Kirche schlugen mit einem ohrenbetäubenden Krachen auf, und die friedliche Vigil wurde im Nu unterbrochen. Keuchen und Schreie erfüllten den heiligen Raum, als ein massiger Wolf eintrat, dessen Fell sich sträubte und dessen Augen im schwachen Kerzenlicht glitzerten. Die Anbeter erstarrten, ihre Gebete wurden durch fassungsloses Schweigen ersetzt.
Die scharfen Klauen des Wolfes klapperten auf dem Steinboden, als er sich mit bedächtigen Schritten bewegte, von denen jeder einzelne in der gewölbten Halle widerhallte. Marianne, die in der Mitte der Kirchenbänke saß, spürte, wie eine kalte Welle des Schreckens über sie hereinbrach. Der stechende Blick der Bestie fixierte sie und ließ sie erstarren.
Aus seiner Brust ertönte ein tiefes Knurren, das wie eine Warnung durch die Steinwände hallte. Die scharfen Zähne der Kreatur blitzten, als sich ihre mächtige Gestalt Schritt für Schritt auf Marianne zubewegte. Jeder Instinkt schrie ihr zu, wegzulaufen, aber sie konnte sich nicht bewegen – seine Augen waren auf sie gerichtet, wild und voller Gefahr.
Marianne ging zügig den schmalen Kopfsteinpflasterweg entlang, der zur Kirche führte, und die Abendluft stach ihr in die Wangen. Sie schlang ihren Schal fest um die Schultern, während der warme Schein der Kirchenfenster sie nach vorne winkte. Es war ein langer Tag gewesen, und sie fand Trost in diesen ruhigen Momenten vor der Nachtwache.
Das vertraute Läuten der Glocken im Turm darüber zauberte ein kleines Lächeln auf ihre Lippen. Die Kirche war ihr Zufluchtsort, ein Ort, an dem die Sorgen der Welt unter dem sanften Flackern des Kerzenlichts und dem beruhigenden Klang der geflüsterten Gebete verblassten.
Als Marianne durch die schweren Holztüren trat, empfing sie der Duft von poliertem Holz und Weihrauch, eine Mischung, die sie immer zu erden schien. Einige Gläubige saßen bereits in den Bänken, die Köpfe in stiller Kontemplation gesenkt. Sie nickte Bruder Paul zu, der in der Nähe des Altars Kerzen anzündete, sein Gesicht war ruhig und konzentriert.
Marianne nahm ihren üblichen Platz in der Mitte der Kapelle ein, schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Die Last des Tages schien leicht zu fallen, als sie sich in der ruhigen Atmosphäre niederließ.
Im Laufe der Jahre war die Kirche zu einem Leuchtturm für Menschen in Not geworden. Ob sie nun Obdachlose beherbergte, Lebensmittelsammlungen organisierte oder einfach nur ein offenes Ohr hatte, die Kirche war in jeder Hinsicht ein Zufluchtsort.
Marianne schlug ihr Gesangbuch auf und fuhr mit den Fingern über die abgenutzten Ränder der Seiten. Sie war in Gedanken versunken und dachte über die Schrift für den Abend nach, als ein ungewohntes Geräusch sie aus ihrer Konzentration riss – ein entferntes, aber scharfes Rascheln, als ob sich draußen im Schatten etwas schnell bewegte.
Neugierig geworden, blickte sie in Richtung der großen Türen. Bruder Paul bemerkte ihre Ablenkung und folgte ihrem Blick. “Wahrscheinlich ist es der Wind”, flüsterte er beruhigend, obwohl sich eine leichte Sorgenfalte auf seiner Stirn abzeichnete.
Marianne nickte und versuchte, das ungute Gefühl, das sich in ihrer Brust breit machte, abzuschütteln. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Gesangbuch zu, aber das Gefühl der Ruhe war nur von kurzer Dauer. Das Geräusch wurde lauter und wurde nun von dem deutlichen Knirschen von Kies unter ihren Füßen begleitet.
Mariannes Puls beschleunigte sich. Sie drehte ihren Kopf zu den Türen, als diese unter einer unsichtbaren Kraft erbebten. Dann sprangen die Türen auf. Ein wilder Wolf brach durch die verschnörkelten Türen. Die Anbeter zuckten schockiert zusammen, als der heilige Raum plötzlich im Chaos versank.
Furcht ergriff die Menge, und einige versuchten zu fliehen. Andere kauerten hinter den Kirchenbänken und beteten zitternd im Stillen. Trotz des Tumults bemerkte Marianne etwas Seltsames: Der Wolf trug eine kleine Gestalt in seinem Maul, die er sanft umklammerte. Es sah nicht wie eine typische Beute aus, was Mariannes Neugier und Sorge weckte.
Hin- und hergerissen zwischen Vorsicht und Mitgefühl blieb Marianne stehen, während ihr Herz gegen ihren Brustkorb hämmerte. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Wolf abwenden, dessen breite Schultern sich mit jedem angespannten Atemzug hoben und senkten. Das Schweigen des Unglaubens erfüllte die Kirche, dicht wie Weihrauch. Was in aller Welt trug er da?
Bruder Paul, der Hauptverwalter der Kirche, stürmte mit einer Taschenlampe herein und rief allen zu, ruhig zu bleiben. “Bitte begeben Sie sich zum Ausgang”, befahl er, wobei seine Stimme von den Steinsäulen widerhallte. Ein Wirbel von Gewändern und panischen Schritten verstopfte bald den Gang, und die Menge beeilte sich, seiner Anweisung zu folgen.
Doch Marianne spürte einen inneren Sog, dem sie sich nicht entziehen konnte. Sie beobachtete die Haltung des Wolfes: Er griff nicht an, sondern bewachte nur das kleine Bündel in seinem Maul. Ihre Instinkte sagten ihr, dass dies mehr als ein einfaches Eindringen war.
Marianne fasste unerwarteten Mut und näherte sich dem Wolf. Langsam hob sie beide Hände, um zu zeigen, dass sie nichts Böses wollte. Ihre Gedanken kreisten um die möglichen Folgen – würde der Wolf angreifen oder ihr Vertrauen schenken? Als sie näher kam, knisterte die Luft vor Spannung.
Der stählerne Blick des Wolfes war auf Marianne gerichtet, die Muskeln gespannt wie gespannte Bogensehnen. Eine falsche Bewegung konnte seine Wildheit entfesseln. Doch da war ein Schimmer in seinen Augen, der von Verzweiflung sprach, nicht von sinnloser Wut. Mariannes Herz pochte. Sie schluckte schwer, fest entschlossen, die Wahrheit hinter dieser bizarren Begegnung herauszufinden.
Ein leises Knurren hallte durch die Kirche und wurde von der hohen Decke widergespiegelt. Marianne hielt inne und beobachtete aufmerksam die Stimmung des Wolfes. Sie sank langsam auf die Knie und versuchte, nicht bedrohlich zu wirken. Trotz ihrer Angst schwoll ihre Neugier an. Die Haltung des Wolfes deutete auf ein unbehagliches Bündnis hin, als würde er um Hilfe bitten und gleichzeitig bereit sein, sich zu verteidigen.
Marianne bemerkte, dass der Gegenstand im Maul des Wolfes lebendig zu sein schien – eine zerbrechliche Kreatur. Sein Fell war verfilzt, und es gab ein schwaches Wimmern von sich. In diesem Moment erkannte Marianne, dass der Wolf nicht gekommen war, um Schaden anzurichten, sondern um Zuflucht für das verletzliche Leben zu suchen, das er bei sich trug.
Inzwischen war die gesamte Kirche fast leer. Nur ein paar Schaulustige und das Personal waren noch da und drängten sich in der Nähe des Eingangs. Bruder Paul gesellte sich zu Marianne und flüsterte eindringlich: “Wir müssen um Hilfe rufen. Das ist gefährlich.” Doch Marianne spürte die Dringlichkeit des Wolfes und glaubte, dass sie der einzige Rettungsanker für das kleine Leben sein könnten.
Erneut stieß der Wolf ein bedrohliches Knurren aus, das Bruder Paul veranlasste, zurückzuweichen. Marianne blieb standhaft und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Sie bemerkte, wie ihr selbst Tränen in die Augen stiegen; ob aus Angst oder aus Mitgefühl, konnte sie nicht sagen. Was sie wusste, war, dass sie handeln musste.
Marianne nahm ihren Mut zusammen und streckte sanft die Hand aus, die Handfläche nach oben gerichtet. “Wir wollen helfen”, sagte sie leise, obwohl ihre Stimme zitterte. Die Ohren des Wolfs zuckten, als er ihre Worte verstand. Für einen Moment ließ die Spannung nach, als ob der Wolf eine gemeinsame Absicht erkannte: das zerbrechliche Geschöpf in seinem Maul zu beschützen.
Bruder Paul, der spürte, dass er mit seiner ängstlichen Anwesenheit mehr Schaden als Nutzen anrichten konnte, trat zur Seite. Er rief die örtlichen Behörden an und schilderte die bizarre Szene. “Ein Wolf ist in die Kirche eingebrochen”, sagte er atemlos, “und er scheint ein verletztes Tier zu tragen Am anderen Ende herrschte fassungsloses Schweigen.
Marianne ging näher heran, ihr Herzschlag hallte in ihren Ohren. Der Wolf beobachtete sie misstrauisch, machte aber keine Anstalten, sie anzugreifen. Leise flüsterte sie: “Wir müssen dich und deinen Freund in Sicherheit bringen.”
Instinktiv nutzte Marianne die Stille, um den Wolf in eine kleine Seitenkapelle zu führen. Es war ein abgeschlossener Bereich, der oft für private Gebete genutzt wurde. Sie hoffte, dass sie hier einen ruhigeren Ort finden würden, an dem sie einen Moment Zeit zum Nachdenken hatten. Bruder Paul folgte ihr, blieb aber in vorsichtigem Abstand.
Das Klicken der Tür, die sich hinter ihnen schloss, fühlte sich endgültig an und sperrte Marianne, Bruder Paul und den Wolf in dem engen Raum zusammen. Nun begann eine andere Art von Nachtwache, eine, die mit Spannung und Ungewissheit beladen war. In dem schwachen Licht konnte Marianne die Augen des Wolfes deutlicher sehen.
Sie blitzten sowohl vor Angst als auch vor Entschlossenheit. Sein Fell sträubte sich, und seine massiven Pfoten waren angespannt, als ob er zum Sprung bereit wäre. Doch er blieb ruhig und hielt die zitternde Kreatur noch immer in seinem Maul. Mariannes Herz krampfte sich bei diesem Anblick zusammen.
Vorsichtig griff Marianne nach einem Votivkerzenhalter in der Nähe. Sie wollte mehr Licht, um zu sehen, wie schwer das Tier verletzt war. Der Wolf knurrte leise, eine Mahnung, sich nicht zu schnell zu bewegen. Bruder Pauls Fingerknöchel waren weiß, als er den Türknauf umklammerte, bereit für einen schnellen Rückzug, falls die Dinge schief gingen.
Marianne zündete eine Kerze an, die kleine Flamme flackerte und warf tanzende Schatten an die Wände. Langsam stellte sie sie auf einen niedrigen Ständer. Der Blick des Wolfes folgte dem Licht, aber er wich nicht zurück. Er schien zu spüren, dass Mariannes Absicht nicht Aggression, sondern Mitgefühl war.
Im Kerzenlicht konnte Marianne sehen, dass das kleine Tier eine verwundete Flanke hatte. Fellbüschel fehlten, und die Atmung war flach. Diese Entdeckung steigerte Mariannes Dringlichkeit. Sie dachte daran, wie verängstigt und beschützend der Wolf sein musste, wenn er ein verletztes Tier in ein menschliches Heiligtum brachte.
Bruder Paul brachte schließlich den Mut auf, zu sprechen. “Wir brauchen medizinische Hilfsmittel. Wir müssen Verbände finden, Antiseptika… irgendetwas, das die Blutung stoppt.” Er musterte den Wolf, unsicher, wie er reagieren würde, wenn sie hinausgingen, um zu holen, was sie brauchten. Marianne nickte und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter.
Marianne hob beide Hände und gestikulierte in Richtung der Tür. Sie hoffte, damit zu signalisieren, dass sie kurz gehen musste. Der Wolf stieß ein leises, warnendes Knurren aus. Seine gelben Augen blitzten schützend auf, als fürchtete er, dass das Loslassen von Marianne das Schicksal seiner verletzten Gefährtin besiegeln könnte.
Doch Marianne fuhr fort, ihr Tonfall war beruhigend. “Ich komme wieder. Ich verspreche es”, flüsterte sie. Die Ohren des Wolfes spitzten sich, fast so, als ob er Marianne irgendwie verstehen würde. Mit einer angespannten Pause ließ er Marianne aus der Kapelle schlüpfen.
Auf dem Korridor wies Bruder Paul schnell ein paar verbliebene Freiwillige an, den Haupteingang abzuriegeln, um sicherzustellen, dass sich niemand mehr in Gefahr begibt. In der Zwischenzeit eilte Marianne zu einem kleinen Vorratsschrank, den die Kirche für den Einsatz in der Gemeinde bereithielt – dort lagerten Verbandsmaterial, Desinfektionsmittel und Decken für Obdachlose.
Marianne schnappte sich alles, was sie tragen konnte, und kehrte zur Kapelle zurück. Ihr stockte der Atem, als sie eintrat. Der Wolf und das kleine Tier waren genau so, wie sie sie verlassen hatte. Der Wolf beäugte sie misstrauisch, aber dieses Mal war sein Knurren gedämpft.
Marianne stellte die Vorräte auf einer Bank in der Nähe ab und kniete sich auf den Steinboden. Sie öffnete die antiseptische Flasche und tupfte vorsichtig ein Tuch ab. Der Wolf verkrampfte sich bei dem stechenden Geruch. Bruder Paul stand in der Nähe, unruhig, aber bereit zu helfen. Leise trat Marianne näher an das Jungtier heran, um die Reaktion des Wolfes zu beobachten.
Ein angespannter Moment dehnte sich wie eine Ewigkeit aus. Dann trat der Wolf langsam von dem verletzten Tier auf dem Boden zurück. Eine Welle der Erleichterung durchflutete Marianne – das war ein Zeichen der Erlaubnis. Behutsam drückte sie das Tuch auf die Wunde, das Tier zuckte leicht, war aber ansonsten zu schwach, um zu protestieren.
Bruder Paul reichte Marianne eine Rolle Verbandszeug. Mit zitternden Händen wickelte sie die Flanke des Tieres ein und rechnete jede Sekunde damit, dass der Wolf vor lauter Wut zuschnappen würde. Doch der Wolf sah nur zu, hechelte leise und ließ seinen Blick zwischen Mariannes Gesicht und dem Tier hin und her huschen, als wäge er die Absicht jeder Bewegung ab.
Die ganze Zeit über war die Kirche mit Spannung geladen. Jeder Schritt im Korridor draußen, jedes leise Schlurfen der Freiwilligen ließ die Ohren der Wolfsmutter zucken. Bruder Paul bewegte sich langsam und achtete darauf, keine plötzlichen Gesten zu machen. Die Atmosphäre war zerbrechlich.
Endlich war der behelfsmäßige Verband angebracht. Marianne blickte zu der Wölfin auf, und wieder drohten Tränen aus ihren Augen zu fließen. Sie streichelte sanft über den Kopf des Tieres und spürte seinen flachen, aber gleichmäßigen Atem. “Wir sind hier, um zu helfen”, flüsterte sie und warf einen beruhigenden Blick auf den Wolf.
Draußen vor der Kapelle kam zuerst ein einzelner Polizist an, mit einer Taschenlampe in der Hand, die andere Hand vorsichtig auf seinem Holster ruhend. Sein Gesicht war eine Mischung aus Entschlossenheit und Unbehagen, als Bruder Paul zu ihm eilte.
“Ein Wolf ist in die Kirche eingebrochen”, erklärte Bruder Paul atemlos und deutete auf die geschlossenen Kapellentüren. “Marianne ist mit ihm drinnen. Er hat ein verletztes Tier mitgebracht. Bitte – machen Sie keine plötzlichen Bewegungen.”
Die Stirn des Offiziers runzelte sich. “Ein Wolf? In einer Kirche? Das ist nicht nur gefährlich – es ist eine Katastrophe, die nur darauf wartet zu passieren.” Seine Stimme war ruhig, aber fest, sein Griff um den Gürtel wurde fester. “Meine oberste Priorität ist die öffentliche Sicherheit. Wenn es auch nur den Hauch einer Gefahr gibt, muss ich handeln.”
Bruder Paul schüttelte den Kopf und senkte seine Stimme in einem verzweifelten Flehen. “Es hat niemanden angegriffen. Marianne glaubt, es sei hier, um Hilfe zu holen. Bitte, gebt ihr Zeit, damit fertig zu werden. Wenn wir es erschrecken, könnte es Blutvergießen geben. Sie hat die Situation unter Kontrolle.”
In der Kapelle zuckte Marianne zusammen, als der Wolf leise knurrte und seine Augen zu den gedämpften Gesprächsgeräuschen vor der Tür schweiften. Die Spannung in der Luft war greifbar, jeder Muskel des Wolfes war angespannt, als er schützend über dem kleinen, verletzten Wesen stand.
Die Tür der Kapelle öffnete sich knarrend, und der Beamte trat ein, wobei seine Taschenlampe den Raum durchleuchtete, bevor sie auf dem Wolf landete. Sein Atem ging stoßweise. Der Wolf knurrte, trat vor, um sein Junges zu schützen, und der Beamte griff instinktiv nach seinem Betäubungsgewehr.
“Nein!” Rief Marianne und stellte sich zwischen den Beamten und den Wolf. Ihre Arme waren ausgestreckt, ihr Körper eine Barriere. “Bitte nicht! Sie machen es nur noch schlimmer!” Der Beamte bellte: “Ma’am, gehen Sie zur Seite!”, seine Stimme war ruhig, aber mit einer gewissen Dringlichkeit versehen.
“Ich will es nicht verletzen, aber wenn es angreift, habe ich keine andere Wahl. Das menschliche Leben steht an erster Stelle – das wissen Sie.” Mariannes Stimme zitterte, aber ihre Entschlossenheit war unerschütterlich. “Sieh es dir an! Er greift nicht an – er hat Angst.
Das Knurren des Wolfes verstummte zu einem leisen Winseln, sein Schwanz zuckte nervös, als er Marianne ansah. “Siehst du?”, sagte sie, ihre Stimme war jetzt leiser, fast flehend. “Es vertraut mir. Das dürfen wir nicht verraten.” Die Spannung im Raum war unerträglich.
Die Hand des Offiziers schwebte über seiner Waffe, sein Kiefer spannte sich an. Schließlich atmete er langsam aus und ließ den Arm sinken. “Ich werde mich zurückhalten”, sagte er zögernd, “aber ich kann nicht für dasselbe garantieren, wenn die Dinge eskalieren.”
Marianne nickte, ihre Schultern entspannten sich leicht. “Danke”, sagte sie leise. Sie wandte sich wieder dem Wolf zu und kniete sich hin, wobei sie ihre Bewegungen langsam und bedächtig machte. “Wir werden dir helfen”, flüsterte sie. “Zeigen Sie uns einfach, was Sie brauchen.”
Der Polizist beobachtete mit seiner Taschenlampe, wie Marianne ihre Hand sanft auf die Decke legte und sie dem Wolf anbot. Zu seinem Erstaunen griff der Wolf nicht an. Stattdessen schob er das Bündel näher an Marianne heran, seine Augen waren mit etwas gefüllt, das fast wie Vertrauen aussah.
Für einen Moment wurde die harte Haltung des Offiziers weicher. “Sie sind mutiger, als ich es je sein könnte”, murmelte er leise. Marianne blickte mit einem schwachen Lächeln über ihre Schulter. “Es geht nicht um Tapferkeit. Es geht darum, die Angst hinter den Reißzähnen zu sehen.”
Der Wolf, der die Veränderung im Raum spürte, stieß ein leises Schnaufen aus und drehte sich zur Tür. Sein Blick blieb an Marianne haften und forderte sie leise auf, ihm zu folgen. “Er führt uns irgendwo hin”, sagte sie und stand auf. “Wir müssen ihm folgen.”
Der Offizier trat vor und versperrte die Türöffnung. “Das kann nicht Ihr Ernst sein. Dieses Ding könnte uns in einen Hinterhalt führen – oder Schlimmeres.” Marianne schaute ihm in die Augen, ihre Stimme war fest. “Wenn es uns etwas antun wollte, hätte es das bereits getan. Bitte, vertrauen Sie mir.”
Der Offizier zögerte, seufzte schließlich und trat zur Seite. “Ich komme mit Ihnen, aber wenn es schief geht, rufe ich Verstärkung.” Marianne nickte, ein Flackern der Dankbarkeit ging über ihr Gesicht. Gemeinsam folgten sie dem Wolf in die Nacht, und die Türen der Kapelle schlossen sich knarrend hinter ihnen.
Hinter den Kirchentüren tauchte das Mondlicht den Innenhof in einen silbernen Schein. Statuen von Heiligen und Engeln schienen zu beobachten, wie Marianne dem Wolf über das Kopfsteinpflaster folgte. Der Wolf führte sie durch das Kirchentor und auf einen schmalen, von hohen Hecken gesäumten Pfad.
Die Nachtluft war kühl, und eine Stille legte sich über die Gruppe. Jedes Rascheln von Blättern, jedes Scharren von Schuhen auf dem Kies fühlte sich in der angespannten Stille noch verstärkt an. Sie setzten ihren Weg durch eine gewundene Gasse fort, geleitet von den trittsicheren Schritten des Wolfes.
Je weiter sie sich vom Schein der Straßenlaternen entfernten, desto dichter wurde die Dunkelheit, die von allen Seiten auf sie eindrang. Nur der gleichmäßige Schritt des Wolfes gab ihnen Orientierung. Jeder Schritt verstärkte das Gefühl, dass sie an ihrem Ziel etwas Dringendes erwartete.
Schließlich erreichten sie den Rand eines dichten Waldes, der wie ein großer, stiller Wächter aufragte. Die Wölfin hielt inne und richtete ihren scharfen Blick auf die Menschen hinter ihr. Ihre Brust hob sich, und jeder Atemzug zeugte sowohl von Erschöpfung als auch von unermüdlicher Entschlossenheit.
Die Wölfin schritt in den Wald hinein und verschwand zwischen den dicken Stämmen. Marianne folgte ihm dicht auf den Fersen. Der besorgte Offizier gab den anderen ein Zeichen, wachsam zu bleiben. Die Gruppe ging weiter, die Taschenlampen stachen durch die Dunkelheit und offenbarten ein Geflecht aus knorrigen Wurzeln und schwankenden Ästen.
Je tiefer sie vordrangen, desto bedrohlicher wurde das Gefühl, das sie überkam. Unter dem Blätterdach war das Mondlicht schwach und wurde durch den flackernden Schein der Taschenlampen ersetzt. Der Wind flüsterte durch die Kiefern, ein unheimliches Wiegenlied, das die Nerven aller zum Zerreißen brachte. Dennoch führte der Wolf sie tiefer.
Plötzlich ertönte ein scharfes Geräusch zwischen den Bäumen – ein schmerzhaftes Wimmern. Der Wolf antwortete mit einem tiefen Heulen, und Mariannes Magen krampfte sich zusammen. Irgendetwas oder irgendjemand in der Nähe war verletzt. Die Gruppe tauschte ängstliche Blicke aus, dann eilte sie vorwärts und drängte sich an Ästen vorbei, die ihre Kleidung verhedderten.
Das Wimmern wurde lauter und bildete zusammen mit den Antwortschreien des Wolfs einen makabren Refrain. Schließlich erreichten sie eine Mulde unter einer massiven Eiche. Mariannes Taschenlampenstrahl offenbarte ein klaffendes Loch am Fuß des Baumes. In der Dunkelheit konnte sie gerade noch eine Bewegung im Inneren ausmachen.
Als sie sich vorsichtig näherten, entdeckten sie eine versteckte Höhle. In den schattigen Nischen lagen weitere Tiere, die sich wanden und verzweifelt wimmerten. Eines schien besonders schwach zu sein und brauchte sofortige Hilfe. Die Wölfin wimmerte und stupste ihre Schnauze ins Innere, brauchte aber eindeutig menschliche Hilfe.
Bruder Paul, der beim Anblick so vieler kleiner, aber seltsamer Tiere einen Moment lang wie erstarrt war, handelte schließlich. Er kniete sich hin und befreite das gefangene Tier behutsam von seinem verletzten Bein. Das kleine Tier stieß einen schrillen Schrei aus, bevor es erschöpft in seine Hände fiel.
Eines nach dem anderen untersuchten sie die Tiere. Einige waren nur kalt und verängstigt, andere hatten Schnitte und Prellungen. Die Zeit verging unvorstellbar langsam, während sie die Wunden mit übrig gebliebenen Vorräten verbanden und warme Decken aus dem Vorrat der Kirche benutzten, um die Tiere zu versorgen.
Nachdem sie die Situation beurteilt hatten, wurde Marianne klar, dass die Tiere in ihrem jetzigen Zustand hier draußen nicht überleben konnten. Sie brauchten eine umfassendere Versorgung. Ein örtlicher Tierarzt war eine Option, aber würde die Wolfsmutter es zulassen, dass sie transportiert werden? Eine Welle der Besorgnis überkam Marianne.
Als Marianne einen entschlossenen Blick mit Bruder Paul austauschte, kam sie zu dem Schluss, dass sie es versuchen mussten. “Wir müssen sie zurück in die Kirche bringen”, sagte sie, und ihre Stimme zitterte vor Angst und Entschlossenheit gleichermaßen. “Das ist der nächstgelegene Ort mit genügend Platz und Mitteln, um zu helfen.”
Marianne holte tief Luft und hob das am meisten verletzte Tier vorsichtig hoch. Der Wolf gab ein leises Knurren von sich, aber es war nicht mehr so bedrohlich wie zuvor. Langsam sammelten die anderen die übrigen Tiere ein und wickelten sie in Decken. Der Wolf beobachtete sie genau und lief hin und her, als würde er einen inneren Kampf austragen.
Ihre Rückkehr zur Kirche verlief langsam und angespannt. Gelegentlich stieß der Wolf ein klagendes Heulen aus, als wolle er die Menschen zu einem schnelleren Schritt auffordern. Die Kreaturen waren jetzt still, zu erschöpft, um einen Laut von sich zu geben. Marianne betete, dass sie durchhalten konnten, bis sie richtig versorgt wurden.
Schließlich kamen sie auf den Hof der Kirche. Eine kleine Gruppe von Bürgern stand da und beobachtete mit großen Augen den unwirklichen Anblick der Prozession mit den verletzten Tieren. Geflüster ging durch die Menge, angeheizt von Sorge und Angst.
Die Gruppe betrat vorsichtig die Kirche, die Tiere in warme Decken gehüllt, ihre winzigen Körper bewegten sich kaum. Die Wölfin folgte ihnen dicht auf den Fersen, ihre scharfen Augen huschten zwischen ihren Jungen und den Menschen, die sich um sie kümmerten.
Marianne führte sie in die Seitenkapelle, in der alles begonnen hatte. Der stille Raum schien nun wie verwandelt – ein Heiligtum nicht nur für das Gebet, sondern auch für die Heilung. Sie und Bruder Paul legten die Tiere vorsichtig auf eine große Decke, die auf dem Boden ausgebreitet war. “Was sind das überhaupt für Tiere?”, flüsterte Bruder Paul.
Der Tierarzt, der herbeigeeilt war, nachdem er von dem sich abspielenden Drama gehört hatte, kam wenige Augenblicke später mit einer Tasche voller Hilfsmittel an. Er näherte sich vorsichtig und sprach in sanftem Ton. “Ich werde tun, was ich kann”, versicherte er Marianne. “Konzentrieren wir uns zuerst darauf, sie zu stabilisieren.”
Der Wolf gab ein leises Knurren von sich, als der Tierarzt neben den Tieren kniete. Marianne trat schnell hinzu und streichelte sanft das Fell des Wolfes. “Ist schon gut”, flüsterte sie. “Er ist hier, um zu helfen.” Die Wölfin zögerte, hielt ihn aber nicht auf, ihr Blick huschte zwischen dem Mann und den verletzten Tieren hin und her.
Unter den geschickten Händen des Tierarztes erhielten die Tiere ihre erste richtige Pflege. Er säuberte Wunden, behandelte Infektionen und untersuchte die schwächsten von ihnen. Die Wölfin beobachtete ihn aufmerksam, ihre Ohren zuckten bei jeder Bewegung.
Es vergingen Stunden, aber die Stimmung hellte sich auf, als die Tiere Anzeichen der Besserung zeigten. Das schwächste Tier, dessen Atmung flach und schwer war, gab ein leises Kläffen von sich. Es war das kleinste Geräusch, aber es erfüllte den Raum mit Hoffnung. Marianne lächelte und ihr Herz schwoll vor Erleichterung an.
Die Stadtbewohner, die sich draußen versammelt hatten, begannen in die Kirche zu strömen, und ihre Neugier und Besorgnis überwanden ihre anfängliche Angst. Sie blieben in respektvollem Abstand stehen und bestaunten den Anblick des wilden Wolfes, der schützend neben den Tieren lag.
Als die Dämmerung einsetzte, fielen die ersten Sonnenstrahlen durch die Glasfenster und warfen ein Kaleidoskop von Farben auf den Boden der Kapelle. Die kleinen Tiere regten sich, ihre winzigen Körper waren nun warm und sichtlich gestärkt. Der Wolf, obwohl müde, strahlte eine ruhige Zufriedenheit aus.
Der Tierarzt beendete seine Arbeit, stand auf und wandte sich an Marianne und Bruder Paul. “Sie müssen weiter gepflegt werden, aber im Moment sind sie stabil. Ich werde veranlassen, dass sie in eine Auffangstation für Wildtiere gebracht werden, wo sie sich vollständig erholen und schließlich in ihren natürlichen Lebensraum zurückkehren können.”
Marianne nickte, ihr Herz war schwer und voll zugleich. Sie kniete sich neben den Wolf, der sie mit einer Intensität ansah, die fast menschlich wirkte. “Was sind sie?” Flüsterte Marianne. “Eine Kreuzung zwischen einem Wolf und einem Hund, deshalb konnte man sie nicht erkennen”, antwortete der Tierarzt mit einem stolzen Lächeln nach getaner Arbeit.
Als das Team der Auffangstation eintraf, wurden die Welpen behutsam in sichere, mit Decken ausgelegte Kisten gelegt. Die Wolfsmutter zögerte, offensichtlich hin- und hergerissen zwischen dem Instinkt, ihr Revier zu schützen, und dem Wissen, dass ihre Welpen in sicheren Händen waren. Schließlich stieg sie in eine Kiste neben ihnen, ihr Vertrauen in diese Menschen war unerschüttert.
Als der Transporter der Auffangstation davonfuhr, standen die Stadtbewohner in stiller Ehrfurcht. Marianne sah zu, bis das Fahrzeug in der Gasse verschwand, und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals. Bruder Paul legte ihr eine beruhigende Hand auf die Schulter. “Du hast heute Abend etwas Unglaubliches getan”, sagte er sanft. “Du hast Leben gerettet.”
In den darauffolgenden Tagen verbreitete sich die Geschichte von der Wölfin und ihren Jungen weit und breit. Die Kirche wurde zu einem Symbol der Hoffnung und des Mitgefühls, zu einem Ort, an dem selbst die wildesten Kreaturen Zuflucht fanden. Spenden flossen in Strömen, um die Auffangstation zu unterstützen, und Marianne erhielt unzählige Nachrichten der Dankbarkeit und Bewunderung.