Diese Frau hatte ein geheimes Motiv, als sie beschloss, einen alten, reichen Mann zu heiraten – niemand sah das kommen
Julia blickte sich um, umgeben von einem Meer von feindseligen Gesichtern. Kein einziges freundliches Gesicht war unter der Menge. Der Hochzeitsbeamte musterte sie mit einem überraschten Gesichtsausdruck. “Julia?”, fragte der Priester. Ihre Umgebung kam ihr unwirklich vor, als befände sie sich in einem Traum. Seine Worte wirkten weit weg, und sie hatte Mühe, sich an seine letzten Sätze zu erinnern. “Entschuldigung, könnten Sie das wiederholen?”, fragte sie mit schwankender Stimme.
Mit einem verwirrten Blick beobachtete er sie, bevor er sich räusperte. “Lassen Sie mich das wiederholen”, bot er an und lachte, um die Spannung zu lösen, doch sein höfliches Lächeln wirkte gezwungen, mehr unbehaglich als fröhlich. Er schien sie fast zu bemitleiden.
“Julia”, begann der Priester erneut, “willst du diesen Mann zu deinem Ehemann nehmen, um mit ihm in der heiligen Ehe zu leben, ihn zu lieben, zu ehren, zu trösten und ihm in Krankheit und Gesundheit beizustehen, indem du allen anderen entsagst, solange ihr beide lebt? Julia hatte das Gefühl, sich an den Worten zu verschlucken, ihre Kehle war wie zugeschnürt vor Nervosität. Sie blickte auf ihre Hände hinunter, die die eines älteren Mannes umklammerten. Sie blickte auf und sah Harold, einen Mann, der 37 Jahre älter war als sie, vor sich stehen.
Sie hatte sich nie vorgestellt, dass sich ihr Leben so entwickeln würde. Ihr Hochzeitstag sollte der glücklichste ihres Lebens werden, ein Ereignis voller Lachen, Beifall und herzlicher Wünsche für das Brautpaar. Sie hatte davon geträumt, in einem aschenputtelhaften Kleid zu erscheinen und das Eheversprechen mit einem außergewöhnlich gut aussehenden Mann zu geben. Sie trug zwar das Kleid, aber der Mann, der vor ihr stand, war weit entfernt von ihrem idealen Bräutigam. Das Leben, so schien es, war von ihren Plänen abgewichen. Oder war es mehr als nur das Leben selbst? Es war schwer zu glauben, dass dies ihr Schicksal war. Hier ging es nicht um das Schicksal oder den Weg, den sie hätte gehen sollen. Es war ihr ganz eigener, komplizierter Plan.
Sie hob ihren Blick wieder, der Priester wurde ungeduldig und wartete auf ihre Antwort. Julias Blick schweifte über die Menge. Keiner ihrer Freunde oder ihrer Familie war anwesend, obwohl sie sie eingeladen hatte. Bei den wenigen Anwesenden handelte es sich um betagte Verwandte oder Freunde von Harold, deren Miene sich vor Abscheu verzog. Sie konnte fast ihr unausgesprochenes Urteil hören. Schnell wandte sie den Blick ab, weil sie den Blicken nicht begegnen wollte, als sie die entscheidenden Worte sprach. Nach einem tiefen Seufzer murmelte sie mit zittriger Stimme: “Ich will.”
Noch vor ein paar Wochen hatte sich Julias Leben drastisch verändert. Sie war eine ganz normale Frau, die als Grundschullehrerin arbeitete. Sie liebte ihren Job und ihr Leben, aber es gab Zeiten, in denen sie sich nach etwas mehr Aufregung sehnte. Ihre Tage drehten sich um die Arbeit, und die Erschöpfung führte oft dazu, dass sie die Wochenenden nur noch auf der Couch verbrachte. Sie fand sich in einer scheinbar endlosen Schleife gefangen, gefüllt mit Routine und endlosen Seifenopern.
Gelegentlich gelang es ihr, aus diesem monotonen Kreislauf auszubrechen. An diesen seltenen Tagen traf sie sich mit ihren Freundinnen zu einem Frauenabend in einer nahe gelegenen Kneipe. Sie tranken Cocktails und lachten gemeinsam, aber diese Abende waren nicht mehr dasselbe. Die meisten ihrer Freundinnen waren bereits verheiratet oder hatten Kinder, und die, die noch Single waren, hatten ihr eigenes aufregendes Leben und ihre eigenen Verpflichtungen, was ihre Verfügbarkeit oft einschränkte.
Trotz allem liebte Julia ihren Beruf als Grundschullehrerin. Es gab nichts Schöneres als den Funken des Verständnisses auf dem Gesicht eines Kindes, wenn es ein neues Konzept begriffen oder eine neue Fähigkeit entwickelt hatte. Die Befriedigung, die sie aus den Fortschritten der Kinder zog, war unbezahlbar. Sie war stolz auf ihren Beruf, aber ein Teil von ihr wünschte sich ein etwas anderes Leben. Sie sehnte sich nach dem Luxus, mit der Liebe ihres Lebens und ihren Kindern zu reisen, mit ihnen Sonnenuntergänge zu beobachten und spannende Erlebnisse zu teilen. Sie sehnte sich nach einem Hauch von Abenteuer in ihrem sonst so gewöhnlichen Leben.
Leider gab es in Julias Liebesleben nichts, was auch nur annähernd aufregend war. Sie ging mit niemandem aus und war nicht einmal ein bisschen verknallt. Ihr Leben war eine ständige Wiederholung der gleichen alten Routine. Deshalb war das, was Julia ein paar Wochen später passierte, etwas, das sie niemals hätte vorhersehen können. Es war so anders als ihr gewöhnliches Leben, aber gerade das machte es noch aufregender.
Die Erinnerung an diesen entscheidenden Tag hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Julia stand vor dem Schulgebäude, als Harold sie ansprach. Es war das Ende des Tages, nur fünfzehn Minuten nach dem Läuten der letzten Glocke. Die Kinder wuselten umher, einige wurden bereits von ihren Eltern abgeholt, während andere noch dabei waren, ihre Sachen zusammenzusuchen oder ihre Spiele auf dem Spielplatz zu beenden.
Die Nachricht verbreitete sich an diesem Tag wie ein Lauffeuer. Die vielen Eltern wurden Zeugen eines bizarren Ereignisses, das sich vor ihren Augen abspielte. Es war der Tag, an dem Harold um Julias Hand anhielt. Ein wohlhabender 71-jähriger Mann machte einer 34-jährigen Frau einen Antrag. Und was war das Unerwartete daran? Sie sagte Ja.
Harold stand da, adrett in seinem glänzenden dreiteiligen Anzug. Noch bevor er auf die Knie sank, ahnte Julia, was kommen würde. Sie war das Beste, was ihm seit langem passiert war, und sie wusste, dass er sich in seinem Lebensabend nur noch auf wenig freuen konnte. Er war alt und gebrechlich, und sie wusste nicht, wie lange er noch leben würde.
Als Harold sich ihr näherte, lag eine Dringlichkeit in seinem Blick, die Julia Unbehagen bereitete. Es schien fast so, als wolle er, dass sie sich an ihn bindet, bevor sie es sich anders überlegen kann. Julia hatte jedoch nicht vor, ihre Meinung zu ändern. Sie war sich sehr wohl bewusst, was sie zu gewinnen hatte, wenn sie ihn heiratete.
Als er sah, dass sie nirgendwo hinging, kniete er nieder und machte ihr einen Vorschlag, an den sie sich kaum erinnern konnte. Alles, woran sie denken konnte, waren die prüfenden Blicke der auf dem Schulhof versammelten Eltern. Sie konnte sich denken, was sie dachten, und ehrlich gesagt, war sie genauso verwirrt wie sie selbst. Nichtsdestotrotz täuschte sie ein Lächeln vor, umarmte Harold und willigte ein, seine Frau zu werden.
An diesem Tag kam Julia alles wie ein Nebel vor, der Boden unter ihr schien verschwunden zu sein. Den Rest des Tages verbrachte sie wie betäubt und fragte sich, wie es um sie stand. Sie schaute auf den riesigen Diamantring an ihrem Finger und fragte sich: “Habe ich wirklich Ja gesagt?”
Es dauerte nicht lange, da klingelte ihr Telefon unaufhörlich. Das Leben in einer Kleinstadt bedeutete, dass sich Nachrichten schnell verbreiteten und saftige Klatschgeschichten noch schneller. Die Geschichte von einer jungen Frau, die einen älteren Mann heiratet, der zufällig sehr wohlhabend ist, war unwiderstehliches Futter für den lokalen Klatsch und Tratsch.
Innerhalb weniger Minuten wurde Julias Telefon überschwemmt. Ihre Freunde waren verblüfft und verärgert. Sie hatten noch nie zuvor von Harold gehört. Wer war dieser Mann, und was konnte sie von einem so alten Mann wollen? Sie beschimpften sie, weil sie es geheim hielt, und ihre engste Freundin gestand ihr sogar ihre Abscheu. “Wie kannst du dich in so einen Mann verlieben?”, rief sie, “Findest du ihn überhaupt attraktiv?”. Julia kannte die Antwort bereits und wünschte, sie könnte die Wahrheit sagen, aber die Angst hielt sie zurück.
Julias Entscheidung, Harold zu heiraten, fühlte sich an wie ein Sprung von einer Klippe in eine stürmische See. Eine so radikale Entscheidung war untypisch für sie. Doch es schien, als müsse sie Ja sagen, als sei der Preis für die Heirat etwas, das sie brauchte.
Doch während sie sich mit den Folgen ihrer Entscheidung auseinandersetzte, wurde ihr plötzlich klar, dass sie für die Heirat mit Harold einen hohen Preis zahlen musste. Die Anwohner waren alles andere als unwissend, insbesondere ihre engsten Freunde. Sie wussten, dass sie Harold nicht aus Liebe geheiratet hatte.
Man sagt oft, dass das Alter nur eine Zahl ist, aber in dieser Situation konnte jeder sehen, dass es seltsam war. Da musste etwas anderes im Spiel sein. Warum sonst sollte eine junge Frau, die in der Blüte ihres Lebens steht, einen alten, kranken Mann heiraten?
Die Reaktion der Stadt war harsch und unmittelbar. Die einst freundlichen Nachbarn begannen über sie zu lästern und ignorierten ihre Grüße. Selbst ihre eigenen Freunde wandten sich von ihr ab. Viele nannten sie eine Goldgräberin. Julias Ruf war über Nacht ruiniert. Sie fand sich in der Isolation wieder und hatte Mühe, ihre Entschlossenheit aufrechtzuerhalten.
Doch das war noch nicht einmal das Schlimmste. Da waren auch noch Harolds Familie und Freunde. Seine Geschwister, Nichten und Neffen waren sehr misstrauisch gegenüber Julia. Sie bemerkten ihre Schönheit und ihren jugendlichen Charme. Sie meinten, dass sie als schöne Frau keine Probleme haben sollte, jemanden in ihrem Alter zu finden.
Sie bemerkten auch, dass sie nur eine einfache Lehrerin war, die an der örtlichen Grundschule angestellt war. Ihr Gehalt konnte nicht sehr hoch sein. Zufälligerweise war Harold ein wohlhabender Mann, der eine beträchtliche Summe auf seinem Bankkonto hatte. Sie trauten Julia nicht und zögerten nicht, ihren Verdacht zu äußern. Sie hatten erwartet, im Falle von Harolds Tod ein Erbe zu erhalten, und der Gedanke, dass diese Goldgräberin ihnen das ganze Geld stehlen könnte, machte sie wütend.
Als Harold Julia zum ersten Mal seinen Freunden und Geschwistern vorstellte, erklärte er ohne zu zögern, dass sie die Frau sei, mit der er seinen Lebensabend verbringen wolle. Seine Freunde lachten zunächst und nahmen an, dass er scherzte. Als er jedoch seine ernste Miene beibehielt, füllten sich ihre Gesichter mit Schock. “Das kann doch nicht dein Ernst sein, Harold”, rief einer von ihnen. Er warf Julia einen bösen Blick zu und schrie dann: “Diese Frau ist nur hinter deinem Geld her. Sie ist eine richtige Goldgräberin! Weißt du überhaupt, was eine Goldgräberin ist?”
In den nächsten 15 Minuten belehrte Harolds Schwester Violet ihn über das Konzept der Goldgräberin, wobei sie Julia als lebendes Beispiel benutzte. Sie zeigte auf ihre Kleidung und ihr Gesicht und beschrieb, dass eine junge und schöne Frau wie sie sich teurere Kleidung wünschen würde als die billigen Sachen, die sie derzeit trug.
Julia fühlte sich unglaublich peinlich berührt und gedemütigt. Sie schaute sich um, in der Hoffnung auf Unterstützung, stieß aber nur auf Feindseligkeit. Niemand schien mit ihrer Heirat einverstanden zu sein, und sie waren bereit, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um sie zu verhindern.
Harold jedoch war unerschütterlich. Er stand fest in seinem Entschluss, und niemand konnte ihn davon abbringen. Das war es: Er wollte Julia heiraten, und nichts sollte ihn daran hindern.
Julia bewunderte Harold für seine unerschütterliche Entschlossenheit, sie zu heiraten. Sie wussten beide, dass die Situation eher ungewöhnlich war, aber Harold stand wie ein Fels in der Brandung, ohne einen einzigen Zweifel zu hegen. Julia hingegen war alles andere als sicher. Hatte sie die richtige Wahl getroffen? Was, wenn dies ein kolossaler Fehler war? Andererseits hatte sie bereits ihre Freunde und ihren Ruf in der Stadt verloren. Was konnte sie noch verlieren?
Sie hoffte, dass es ihr in Zukunft neue Vorteile bringen würde, Harolds Frau zu sein. Schließlich hatten sie als Ehemann und Ehefrau vereinbart, alles zu teilen. Was ihr gehörte, gehörte jetzt ihm, aber noch wichtiger war, dass das, was ihm gehörte, jetzt ihr gehörte. Das war die Quintessenz von Julias Absicht.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ging Julia die Hochzeitsvorbereitungen zielstrebig an. Sie war sich bewusst, dass Harold alterte und sein Körper immer schwächer wurde. Das bedeutete, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ihm etwas zustieß, täglich zunahm. Julia erkannte, dass sie keine Zeit zu verlieren hatten; sie musste ihn heiraten, sobald er noch fit genug war. Wenn etwas passierte, würde ihr ganzer Plan in sich zusammenfallen und all ihre Bemühungen wären umsonst gewesen.
Also beauftragte Julia einen Hochzeitsplaner, fand einen Veranstaltungsort und organisierte einen Caterer. Sie suchte sogar ein Hochzeitskleid aus, ein Prozess, der unglaublich schwierig war, da sie ihn ganz allein bewältigen musste. Die Verkäuferin warf ihr einen besorgten Blick zu und fragte sie, wo ihre Freunde und ihre Familie seien, die sie unterstützten. Beschämt erfand Julia eine Geschichte und sagte der Frau, sie wolle das Kleid als Überraschung für alle aufbewahren.
Verblüfft akzeptierte die Frau Julias Erklärung. Julia wünschte sich, ihre Geschichte wäre wahr, aber in Wirklichkeit wollte niemand sie begleiten. Ihre Mutter war ihre erste Wahl, aber sie schämte sich so sehr, dass sie Julia nicht mehr sehen wollte. Sie schimpfte mit Julia und erklärte, Harold sei sogar älter als ihr eigener Vater. Ihre Freunde gingen nicht mehr ans Telefon, und als sie versuchte, sie in ihrem Gruppenchat zu erreichen, erhielt sie nur Schweigen als Antwort. Schon bald verließen alle den Chat, und Julia kam zu dem Schluss, dass sie einen neuen Chat ohne sie begonnen hatten.
Die Erfahrung war zwar verletzend, aber Julia konnte ihre Sichtweise bis zu einem gewissen Grad verstehen. Wären die Rollen vertauscht und eine ihrer Freundinnen würde sich plötzlich in einen Mann verlieben, der doppelt so alt ist wie sie, würde Julia wahrscheinlich auch ihre Bedenken äußern.
Aber das war nicht die Realität. Sie war nicht in Harold verliebt, nicht im Geringsten. Sicher, er war ein netter Mann, der sie mit Respekt behandelte, und wäre er einige Jahre jünger gewesen, wäre er vielleicht ihr Typ gewesen. Aber das hier? Das war keine Liebe.
Sie beutete Harold aus, eine Wahrheit, die sie verbergen musste. Das Risiko, aufzufliegen, war zu groß. Wenn irgendjemand ihre wahren Motive für die Heirat mit Harold entdeckte, würde er sich sicher einmischen. So verstrickte sie sich in ein Netz von Lügen und täuschte sogar die Menschen, die sie am meisten schätzte.
Als Julia Harold zum ersten Mal traf, war es nach einem schrecklichen Morgen in der Schule. Er wollte Lucy und Billy abholen, das süßeste Zwillingspaar, das Julia je unterrichtet hatte. Sie waren immer fröhlich, ihr Lachen hallte durch die Flure, bis zu diesem schicksalhaften Tag.
Julia konnte sich an die Einzelheiten erinnern, als wäre es gestern gewesen. Sie stand vor ihrem Klassenraum und war bereit, neue Lektionen zu erteilen, als der Schulleiter unerwartet an die Tür klopfte. Er bat um ein Gespräch unter vier Augen mit ihr, und sie willigte ein.
Sie folgte ihm auf den Flur und schloss die Tür zum Klassenzimmer hinter sich. Als sie allein waren, teilte er ihr die Neuigkeiten mit. Julia konnte sich nicht mehr an seine genauen Worte erinnern, aber sie erinnerte sich lebhaft daran, wie sie sie wie eine Kugel durchschlagen hatten.
Es gab keine Vorrede, keine sanfte Einleitung. Er teilte die Nachricht einfach mit. Fassungslos kehrte sie ins Klassenzimmer zurück und stählte sich für die Ankündigung, die sie gleich machen würde. Sie fühlte sich, als stünde sie kurz vor einem emotionalen Zusammenbruch. Sie musste sich zusammenreißen.
Die folgenden Minuten vergingen wie im Fluge. Sie teilte den Zwillingen mit, dass ihr Großvater sie abholen würde, und sie freuten sich über den unerwarteten schulfreien Tag. Wer wäre das nicht? Aber in Wirklichkeit waren die Umstände alles andere als erfreulich.
Es war etwas extrem Traumatisches passiert. Etwas, das das Leben der Zwillinge für immer verändern sollte..
In den folgenden Wochen sah Julia Billy und Lucy nicht mehr in ihrem Klassenzimmer. Jedes Mal, wenn sie einen Blick auf ihre leeren Plätze warf, schmerzte ihr Herz vor Kummer. Sie waren ihre Lieblingsschüler, und sie verachtete die brutale Realität, dass ihr Leben so dramatisch gestört worden war.
Sie konnte das Ausmaß ihres Kummers nicht begreifen und war oft mit ihrem Wohlbefinden beschäftigt. Als sie schließlich nach mehrwöchiger Abwesenheit in die Schule zurückkehrten, engagierte sie sich für sie. Sie half ihnen, den Schulstoff nachzuholen, und blieb sogar nach der Schule, um ihnen zusätzlichen Unterricht zu geben.
Julia wünschte sich, sie könnte ihnen ihr Glück zurückgeben, aber nichts konnte das unschuldige Lächeln in ihre Gesichter zurückbringen. Nicht nach dem, was sie durchgemacht hatten. Also tat sie alles, was in ihrer Macht stand, und redete sich ein, dass sie ihnen wenigstens in der Schule helfen würde, damit sie nicht zurückfielen. Doch Julia ahnte nicht, dass die zusätzlichen Unterrichtsstunden nicht nur den Zwillingen zugute kommen würden, sondern letztlich auch für sie selbst von großem Nutzen sein würden.
Als Julia begann, sich mehr mit Billy und Lucy zu beschäftigen, fand sie sich auch zunehmend mit Harold zusammen. Sie hatte vorher nicht viel mit ihm zu tun gehabt, aber als sie es tat, entdeckte sie, dass er ein intelligenter, reicher Mann mit einem mitfühlenden Herzen war.
Er hatte sein Leben der Fürsorge für Billy und Lucy gewidmet. Die Eltern der Zwillinge waren bei einem katastrophalen Autounfall ums Leben gekommen und hatten die beiden zu Waisen gemacht. Einfach so, innerhalb eines Wimpernschlags, wurde das Leben der beiden unwiderruflich verändert. Die nackte Realität ihrer Situation ließ Julias Herz zerbrechen.
Nach dem Unfall war Harold die einzige Familie, die sie noch hatten, und so gab er sich selbst ein Versprechen. Er würde für die Zwillinge sorgen und ihnen ein Zuhause bei ihm geben. Das war das Mindeste, was er tun konnte.
Sein Haus war groß, ein kleiner Vorteil seines Reichtums. Das bedeutete, dass er genügend Platz hatte, um die Kinder bequem unterzubringen. Zu seinem Anwesen gehörte auch ein großer Garten mit einem beachtlichen Swimmingpool mit Rutsche. Darüber hinaus verfügte sein Haus über mehrere Kamine, hohe Decken, große Fenster und sogar ein Heimkino.
Julia konnte sich noch gut daran erinnern, als sie sein Haus zum ersten Mal sah. Die Kinder waren wieder einmal zu spät zum Nachhilfeunterricht gekommen, und Harold konnte sie unerwartet nicht abholen, weil sich seine Routineuntersuchung im Krankenhaus verzögerte. Er hatte die Schule angerufen und sie gebeten, sie zu seinem Haus zu bringen und dort zu warten, bis er zurückkam.
Natürlich stimmte Julia zu. Es lag bereits auf ihrem Heimweg, und sie war neugierig, ob die großen Geschichten der Kinder stimmten. Die Zwillinge erzählten ihr oft von einem Pool, der so groß wie ein Meer war. Jetzt würde sie endlich sehen, wovon sie sprachen, dachte sie.
Also fuhr Julia sie nach Hause, und als sie am Haus ankam, blieb ihr vor Überraschung der Mund offen stehen. “Heiliger Strohsack!”, rief sie aus, woraufhin die Kinder kicherten und ihre Worte wiederholten. Julia erinnerte sich, dass sie gehofft hatte, dass sie Harold nichts von ihrem Ausbruch erzählen würden.
Jetzt stand sie da, schlüpfte in ihr Hochzeitskleid und war bereit, Harold zu heiraten. Wenn sie an diese Erinnerungen zurückdachte, konnte sie kaum glauben, dass dies ihr neues Zuhause sein würde. Und es würde ihr gehören! Ihr Leben sollte sich völlig verändern.
Julia spürte, wie eine Flut von Gefühlen über sie hereinbrach. Sie war nervös, aufgeregt, traurig und sogar glücklich. Sie war sich nicht mehr sicher, was sie fühlen sollte, und wusste, dass die Zeremonie bald beginnen musste, sonst würde sie vielleicht einen Rückzieher machen.
Plötzlich wurde Julia von einer sanften Frauenstimme aus ihren Tagträumen gerissen: “Ich bin fertig, du siehst wunderschön aus.” Es war die Visagistin, die sie für diesen Tag engagiert hatte. Zuerst dachte sie, es sei eine Bagatelle. Die Hochzeit war ihr völlig egal, sie dachte nur an die Vorteile, die sie durch die Heirat mit Harold erlangen würde. Sie hatte ihre geheimen Pläne und konnte nach der Hochzeit endlich den Schein fallen lassen. Allerdings musste die Hochzeit so authentisch wie möglich erscheinen, um keinen Verdacht zu erregen. Also beschloss sie, alles zu tun, was sie normalerweise tun würde, wenn sie die Liebe ihres Lebens heiraten würde…
Es blieb nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken. Plötzlich schwang die Tür auf; es war ihre Hochzeitsplanerin, die ihr mitteilte, dass die Prozessionsmusik begonnen hatte. Sie konnte nun auf Harold zugehen.
Allein den Gang entlang zu gehen, war eine Qual. Niemand war da, um sie zu begleiten, weder ihr Vater noch ihre Mutter, und schon gar keine Freunde.
Als das Lied zu spielen begann, begannen Julias Füße sich wie von selbst zu bewegen, so als ob sie die Welt um sich herum nicht mehr wahrnehmen würde. Sie blendete die schockierten Gesichter auf den Bänken aus. Alles schien wie im Fluge zu vergehen. Sie fühlte sich losgelöst von ihrem eigenen Körper, als ob sie sich selbst aus der Ferne beobachtete, wie sie den Gang entlangging, ohne ihre Umgebung wahrzunehmen. Es war, als würde eine andere Person den Gang entlanggehen, aber es war wirklich sie selbst.
Die Zeremonie war ein ruhiges, düsteres Ereignis, im Gegensatz zu den üblichen Jubelfeiern in Painswick. Als sie Harold ansah, sah sie einen Mann, der eine Last der Einsamkeit trug. Plötzlich tat er ihr so leid.
Er wollte einfach nur geliebt werden. Aber bei ihr würde er das nicht finden. Hier war keine Liebe im Spiel. Für sie war das rein strategisch. “Das wusste er wahrscheinlich, oder?”, versuchte sie, sich zu rechtfertigen. Sie war auch einsam, und sie wusste, dass sie bei ihm keine Liebe finden würde, aber wenigstens fand sie andere Dinge.
Und so redete sich Julia ein, dass es besser so war und setzte die Zeremonie fort. Sie ignorierte die hasserfüllten Blicke und das leise Getuschel und gab Harold ihr Wort, sie sagte Ja. Ehe sie sich versah, stand sie schon draußen, als hätte sich nichts geändert. Doch … alles hatte sich verändert. Jetzt trug sie einen Ring und konnte sich Mrs. Williams nennen. Harold und Julia Williams…. Es klang seltsam für sie.
Als Julia an diesem Abend Harolds riesiges Haus betrat, spürte sie, wie sich ein Schauer der Nervosität in ihr Herz schlich. Sie wusste, dass sie einen schweren Weg vor sich hatte. Nicht das Wohnen in dem neuen Haus war das Schwierige – für sie war es wie ein Traum. Das Haus stand in krassem Gegensatz zu Julias bescheidenen Anfängen. Es würde ihr überhaupt nicht schwer fallen, hier zu leben. Julia hatte immer von einem solchen Lebensstil geträumt.
Leider war die Villa eines der wenigen positiven Dinge in Julias Leben. Die Feindseligkeit der Stadt wuchs, als sie erfuhren, dass sie Harold tatsächlich geheiratet hatte. Es wurde über sie getratscht, und sie erhielt bald den unglücklichen Spitznamen “Goldgräberin Julia”.
Julia fühlte sich zu Lucy und Billy hingezogen, weil sie spürte, dass deren Einsamkeit ihre eigene widerspiegelte. Doch mit jedem Tag wurde die Feindseligkeit der Stadt zu einer immer schwereren Last. Je mehr Feindseligkeit ihr begegnete, desto mehr Zeit verbrachte sie mit Lucy und Billy. Ihr gemeinsamer Kummer und ihre Isolation schweißten sie zusammen. Trotz der Verachtung durch die Stadt fand Julia Trost in dieser neu gefundenen Verbindung. Sie diente als Balsam für ihre verwundete Seele und sorgte dafür, dass sich die Villa weniger wie ein vergoldeter Käfig und mehr wie ein Zuhause anfühlte.
Eines Morgens, nur vier Tage nach der Hochzeit, wachte Julia mit einem Schock auf. Sie hatte einen anonymen Brief erhalten, in dem sie der Habgier und des Betrugs beschuldigt wurde. Die Anschuldigungen waren hart, griffen ihren Charakter direkt an und unterstellten ihr böswillige Absichten. Worte wie “Goldgräberin”, “Betrügerin” und “nur des Geldes wegen” hallten in ihrem Kopf wider.
Julia stand fassungslos da, und die Worte auf dem Papier brannten ihr wie ein Brandeisen. Das Getuschel in der Stadt steigerte sich zu ohrenbetäubendem Geschrei, und eine Hexenjagd setzte ein, die Julia noch mehr isolierte als zuvor. Die Leute begannen sogar, Facebook-Seiten einzurichten, um Julias Leben zu erforschen. Sie fühlte sich wie eine Außenseiterin in einer Stadt, die einst ihr Zufluchtsort gewesen war.
Julia drehte fast durch und dachte daran, alles zu verraten. Aber dann erinnerte sie sich daran, warum sie die ganze Sache überhaupt angefangen hatte, und beschloss, den Mund zu halten. Als der Druck immer größer wurde, wuchs auch ihre Entschlossenheit, das zu schützen, was sie zu schätzen gelernt hatte.
Hinzu kam, dass sich Harolds Gesundheit rapide verschlechterte. Julias Herz war gebrochen. Obwohl sie bereits wusste, dass diese Situation eintreten würde, hatte sie begonnen, sich in Harold zu verlieben. Nicht auf romantische Weise, sondern eher auf eine Art Freundschaft. Zusammen mit Billy und Lucy verbrachte sie so viel Zeit wie möglich mit ihm und sie versuchten, sich auf das Positive zu konzentrieren.
Das war jedoch äußerst schwierig, denn die Nachricht schickte Schockwellen durch die Stadt. “Glaubt ihr uns jetzt?”, lautete eine neue Überschrift eines Beitrags in der Facebook-Gruppe: “Wir hatten die ganze Zeit recht”. Die Leute nannten es einen Betrug und sagten, Julia habe sich ihr Opfer ausgesucht und absichtlich einen sehr alten und kranken Mann ausgewählt, damit er sich in sie verliebe. Auf diese Weise konnte sie sehr schnell und einfach reich werden. Sie nannten sie krank und herzlos.
Julia beschloss, dass sie nichts mehr lesen wollte, weil sie nur noch traurig wurde. Sie nannten sie all diese Dinge, aber wenn sie wüssten, warum sie Harold wirklich geheiratet hatte, würden sie ihre Worte zurücknehmen. Dessen war sie sich sicher.
Je kränker Harold wurde, desto mehr Verantwortung übernahm Julia im Haus, und ihre Rolle wandelte sich von der vieldiskutierten Ehefrau zur Pflegerin. Die zunehmende Kontrolle und Harolds sich verschlechternder Gesundheitszustand wurden zu einem Drahtseilakt, den Julia jeden Tag zu bewältigen hatte.
Trotz der chaotischen Umgebung fand Julia Trost in der sich vertiefenden Beziehung zu Lucy und Billy. Die gemeinsamen Mahlzeiten, Gutenachtgeschichten und das unschuldige Lachen der Kinder brachten ein Gefühl der Normalität in den turbulenten Haushalt. Doch je stärker Julias Bindung zu den Kindern wurde, desto lauter wurden die Anschuldigungen der Stadt und wurden zu einer Kakophonie, die sie nicht länger ignorieren konnte.
Julia fand sich im Auge des Sturms wieder, jeder ihrer Schritte wurde genauestens überprüft, ihr Charakter wurde auf Schritt und Tritt angegriffen. Dennoch blieb sie unnachgiebig. Ihre Kraft schöpfte sie aus dem Lächeln von Lucy und Billy, aus ihren gemeinsamen Momenten der Freude und des Trostes inmitten des Chaos, das sie umgab. Außerdem wusste Julia, dass die Zeit nahe war, in der sie ihre Geheimnisse nicht mehr so streng hüten musste. Bald könnte sie der Stadt die Wahrheit offenbaren. Das Warten würde nicht lange dauern.
Und dann, an einem kühlen Herbstmorgen, kam plötzlich der unvermeidliche Moment. Harolds Tod kam wie ein heftiger Wintersturm und stürzte das Herrenhaus und die Stadt ins Verderben. Als Julia an seinem Grab stand, überkam sie eine unerwartete Welle der Trauer. Harold, einst ein Fremder, war ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden. Seine Abwesenheit hinterließ eine Leere, die die Zukunft ungewiss und die Gegenwart mit dem harten Urteil der Stadt belastet machte.
Während der gesamten Beerdigung fühlte sich Julia wie betäubt. Ihre Gedanken waren bei den süßen Zwillingen, die nach dem Verlust ihrer Eltern nur wenige Monate zuvor nun den Verlust ihres letzten Familienmitglieds, ihres Großvaters, betrauerten. Julia bemühte sich, sie zu trösten, so gut sie konnte, aber sie wusste, dass ihre Bemühungen Grenzen hatten.
Die anklagenden Blicke der Stadt, die sie während der Beerdigung musterten, machten ihr zusätzlich zu schaffen. Die Stadtbewohner bemitleideten die Zwillinge, weil sie glaubten, sie hätten nun eine böse Stiefmutter, die so genannte Goldgräberin, am Hals. Julia konnte das Geflüster hören, und es machte sie wütend. Warum mussten die Leute aus der Stadt nur so viel Aufhebens machen? Konnten sie sich nicht um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern?
Die Verlesung von Harolds Testament goss noch mehr Öl in das ohnehin schon wütende Feuer. Harold hatte sein gesamtes Vermögen Anna vermacht. Die Enthüllung versetzte die Stadt in Aufruhr. Anna, die noch immer unter dem Schock von Harolds Tod stand, fand sich im Zentrum eines Wirbelsturms von Anschuldigungen wieder, und ihre Welt wurde einmal mehr auf den Kopf gestellt.
Die Tage nach Harolds Tod waren für Julia extrem hart. Sie spürte die Empörung der Stadt, und plötzlich war sie in aller Munde. Die Situation war jetzt noch schlimmer als am Anfang. Julia wurde zum Thema von leidenschaftlichen Bürgerversammlungen und leisem Geflüster.
Trotz der Schwierigkeiten blieb Julia standhaft. Ihr wichtigstes Anliegen war es jetzt, Lucy und Billy vor den Unruhen zu schützen. Die Kinder waren ihr Leuchtturm im Sturm geworden, und es war nun ihre Pflicht, sich um sie zu kümmern. Dies löste eine weitere Welle von Klatsch und Tratsch in der Stadt aus. Die Tatsache, dass Julia nun die Rolle der Vormünderin von Lucy und Billy übernommen hatte, sorgte für hochgezogene Augenbrauen bei den Einwohnern. Julia wünschte, sie könnte sie einfach zum Schweigen bringen. Und die Sache war die, dass sie genau wusste, wie sie das tun konnte, aber sie musste noch ein bisschen warten.
Trotz der Hürden konzentrierte sich Julia darauf, die Stabilität für die Kinder aufrechtzuerhalten, ihre Widerstandskraft wurde auf die Probe gestellt, doch sie blieb standhaft. Die Trauer hing wie eine dichte Wolke über dem Haus. Julia, Lucy und Billy fanden Trost bei den anderen, denn ihr gemeinsamer Verlust brachte sie einander noch näher. Sie verbrachten ihre Tage damit, in Erinnerungen an Harold zu schwelgen, Geschichten auszutauschen und zu lernen, mit ihrer Trauer fertig zu werden. Trotz der prüfenden Blicke der Stadt heilten sie allmählich, und ihre Bindung wurde immer stärker.
Eines Tages, als Julia Lucy und Billy beim Spielen im Garten beobachtete, fasste sie einen Entschluss. Es war an der Zeit, dass die Leute in der Stadt ihre wahren Beweggründe erfuhren. Eine Mischung aus Angst und Entschlossenheit überkam sie. Sie wusste, dass sie im Begriff war, einen Sturm heraufzubeschwören, aber es war ein Sturm, dem sie sich zu stellen bereit war.
Nervös räusperte sich Julia. Sie blickte auf das Meer von Menschen vor ihr und bemerkte deren wütende und zugleich neugierige Mienen. Die Stadtbewohner schienen skeptisch zu sein, doch in ihren Augen lag eine unbestreitbare Neugier.
Als Julia eine Bürgerversammlung einberufen hatte, war die ganze Stadt in heller Aufregung gewesen. Als sie einen Blick in den Saal warf, stellte sie fest, dass jeder Platz besetzt war. Eine solche Beteiligung war für eine Bürgerversammlung noch nie da gewesen. Es war so voll, dass die Leute sogar in den Ecken standen; niemand wollte ein Wort von ‘Goldgräberin Julia’ verpassen.
Sie hatte so lange geschwiegen und sich nie zu den Vorwürfen geäußert. Nun, da sie ihr Schweigen brechen wollte, waren alle gespannt. Julia spürte eine Welle der Nervosität, da sie wusste, dass sie ihr streng gehütetes Geheimnis preisgeben würde. Aber dann dachte sie: “Was soll’s”, und beschloss, es einfach herauszulassen.
“Also, ich habe euch alle gebeten, heute hierher zu kommen, weil ich etwas mit euch teilen möchte”, begann sie mit leiser, zitternder Stimme. Julia war nervös. Als sie nach unten blickte, bemerkte sie, dass ihre Hände leicht zitterten. Sie fragte sich, wie sie wohl reagieren würde und zögerte ein wenig, weiterzumachen.
“Ich weiß, dass jeder seine Meinung dazu hatte, dass ich Harold vor ein paar Monaten geheiratet habe”, sagte Julia. Mehrere Leute in den vorderen Reihen nickten zustimmend, und einige äußerten sich sogar mit einem Anflug von Wut: “Und das zu Recht!”
“Nun, ich verstehe, warum ihr diese Meinung über mich hattet, aber sie war nicht richtig”, fuhr Julia fort. Sie bemerkte ein paar überraschte Gesichter in der Menge. Dann, als sie die nächsten Worte sprach, schien sich der Raum mit Spannung zu füllen. Die Bewohner der Stadt waren verblüfft. Julias Worte hallten in ihren Köpfen nach: “Ich habe Harold nicht aus Liebe oder wegen des Geldes geheiratet.”
Julia hatte einen Stein in das stille Wasser geworfen, der Wellen schlug, die alles verändern würden. Alle, die vor ihr saßen, blickten sie voller Erwartung an. Was würde sie als Nächstes sagen? Wenn es nicht aus Liebe oder wegen des Geldes war, warum hat sie ihn dann geheiratet?! Julia konnte praktisch sehen, was sie dachten.
“Mein Anwalt wird den Rest erklären”, sagte sie. Es war an der Zeit, der Stadt die ganze Wahrheit zu offenbaren. Sie wusste, dass die vollständige Enthüllung sie schockieren würde, aber es war ein Schock, den sie glaubte, dass sie ihn ertragen mussten.
Ihr Anwalt nickte ihr beruhigend zu, als wolle er ihr ein stilles Versprechen geben, dass alles gut werden würde. Trotz ihrer Nervosität fand Julia Trost in dem Wissen, dass er bei ihr war. Dann begann der Anwalt zu sprechen: “Zunächst einmal muss ich meine Enttäuschung über Sie alle zum Ausdruck bringen”, begann er. Sein strenger Ton sorgte für einen empörten Aufschrei unter den Stadtbewohnern, aber er ließ sich nicht beirren. Er griff in seine Tasche und entfaltete ein zerknittertes Stück Papier: “Dies ist ein Brief, handgeschrieben von Harold selbst, nur wenige Tage vor seinem Tod.” Bei dieser Enthüllung verstummte der Raum und alle Augen richteten sich auf den Anwalt. “Erlauben Sie mir, ihn Ihnen vorzulesen.”
“Meine lieben Freunde und Familienmitglieder,
Ich bin es, Harold, der diesen Brief in einer Zeit verfasst, in der es mir gesundheitlich möglich ist, die Feder zu führen. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass meine Zeit auf dieser irdischen Ebene begrenzt ist, und daher habe ich das Bedürfnis, einige mögliche Verwirrungen zu klären, die nach meinem Weggang entstehen könnten.
Sie alle kennen Julia, eine junge Frau, die durch eine scheinbar bizarre Fügung des Schicksals die Frau eines alten Mannes wie mir wurde. Aber unter der Oberfläche dieser Geschichte steckt noch viel mehr. Jetzt, da Sie diesen Brief lesen, ist der Prozess der Vererbung meines Vermögens und meiner Besitztümer an Julia abgeschlossen. Wir konnten die wahren Gründe für unsere Heirat nicht früher enthüllen, aus Angst, unsere Pläne zu gefährden.
Meine geliebten Enkelkinder haben ein unfassbares Trauma erlebt: Sie haben ihre Eltern durch einen plötzlichen Autounfall verloren, der ihr Leben auf den Kopf gestellt hat. Julia, die von ihrer Notlage berührt war, sehnte sich danach, ihnen etwas Unterstützung zukommen zu lassen. Dies äußerte sich zunächst in Form von zusätzlichem Schulunterricht – ein lobenswertes Unterfangen an sich. Im Laufe unserer Zusammenarbeit wurde sie sich jedoch meines fortschreitenden Alters und der damit verbundenen Auswirkungen auf die Zukunft der Kinder bewusst. Die Befürchtung, dass meine geliebten Enkelkinder nach meinem Ableben in einem Waisenhaus untergebracht werden könnten, war für uns beide eine beunruhigende Aussicht.”
Der Anwalt hielt inne, holte tief Luft, und der Saal verstummte in Erwartung seiner nächsten Worte…
“Als sich ihre Bindung zu den Zwillingen vertiefte, fühlte Julia eine überwältigende Verantwortung, dieses drohende Szenario abzuwenden. Da fasste sie einen Plan und brachte den Mut auf, ihn mit mir zu teilen. Ich erinnere mich gut an ihre Angst, denn sie befürchtete, dass ich ihren Vorschlag als lächerlich abtun würde. Schließlich verstößt eine junge Frau wie sie, die einen alternden Mann heiratet, gegen alle Konventionen, nicht wahr?
Als Julia jedoch mit viel Mut zu mir kam und mir ihren Plan vorstellte, fand ich ihn geradezu genial. Es war eine Idee, die ihre aufrichtige Liebe zu meinen Enkelkindern und ihre Bereitschaft, ein großes Engagement auf sich zu nehmen, zum Ausdruck brachte.
In Anerkennung ihrer Noblesse habe ich beschlossen, ihr meinen gesamten Nachlass zu vermachen. Ich habe Julia immer als gutherzig und vertrauenswürdig erlebt, und ich hatte keinen Zweifel daran, dass mein hart erarbeitetes Vermögen in guten Händen sein würde. Da sie der gesetzliche Vormund von Lucy und Billy ist, war es nur angemessen, dass sie über alle finanziellen Mittel verfügt, um sich bestmöglich um die beiden zu kümmern. Diese Entscheidung mag manchen extravagant erscheinen, aber in meinen Augen war es eine kleine Entschädigung angesichts der Herausforderungen, die sie mit der Heirat mit einem alten Mann wie mir bereitwillig auf sich nahm.
Dennoch waren wir uns beide einig, dass unser Plan bis zu meinem Tod geheim bleiben sollte. Wir befürchteten, dass eine vorzeitige Offenlegung unvorhergesehene Komplikationen mit sich bringen könnte. Daher schwiegen wir und warteten auf den Tag, an dem unser Geheimnis endlich ans Licht kommen würde. Der Tag ist gekommen, und mit diesem Brief hoffe ich, dass Julia Ihnen allen endlich unsere Wahrheit offenbaren kann.
In aller Aufrichtigkeit,
Harold”.
Der Raum wurde ganz still, als die letzten Worte des Briefes ertönten, die Worte des Anwalts waren schwer und bedeutungsvoll. Die Enthüllung traf die Stadt wie eine Flutwelle, die jeden einzelnen ihrer Überzeugungen erschütterte und sie dazu brachte, ihr eigenes Urteilsvermögen in Frage zu stellen.
Eine Welle des Unglaubens schwappte durch die Menge. Langsam begann das Geflüster, das sich zu einem Gemurmel ausweitete. Die Menschen waren schockiert, reumütig, und seltsamerweise zeigten einige sogar Bewunderung für Julia. Das Blatt wendete sich endlich.
Ihre Freunde und Familienangehörigen begannen sich schnell bei ihr zu entschuldigen und wünschten sich, sie hätte es ihnen gesagt. Sie verstanden, warum sie es geheim gehalten hatte, aber gleichzeitig waren sie traurig, dass sie das alleine durchmachen musste. Aber sie war nicht allein, sie hatte Lucy und Billy.
Doch mit der Bewältigung einer Herausforderung kam die nächste auf sie zu. Die gewaltige Aufgabe, die auf sie zukam, bestand darin, Lucy und Billy die Wahrheit zu offenbaren. Das war keine Aufgabe, die sie auf die leichte Schulter nahm. Ihre jugendliche Unschuld und die Traumata, die sie in letzter Zeit erlebt hatten, machten es für Julia unerlässlich, mit der Situation behutsam umzugehen.
Sie bereitete sich tagelang auf das Gespräch vor, probte die Worte immer und immer wieder in ihrem Kopf und suchte nach dem perfekten Moment. Sie überlegte sich, wie sie den Schlag abfedern und die Wahrheit auf eine Art und Weise sagen konnte, die ihre Welt nicht noch einmal erschüttert hätte.
Als sie sich schließlich zu ihnen setzte, waren ihre Reaktionen eine Mischung aus Schock und Dankbarkeit. Ihre großen ungläubigen Augen wichen schnell einem Verständnis, das ihr Alter überstieg. Ihre jungen Herzen waren zwar verblüfft, aber von ihrer Selbstlosigkeit gerührt. Es gab Tränen, Umarmungen und einen gemeinsamen Seufzer der Erleichterung. Das ohnehin schon starke Band zwischen den beiden wurde angesichts dieser Offenbarung noch stärker und festigte ihre Beziehung weiter.
Der Haushalt, der zuvor von Besorgnis und Unsicherheit geprägt war, begann sich wieder wie ein Zuhause anzufühlen. Lachen hallte durch die Flure und das Getrappel von Kinderfüßen hallte durch das Haus. Dies war die Geburtsstunde einer wunderbaren Familieneinheit, die zwar unkonventionell, aber voller Liebe und gegenseitigem Respekt war.
Mit der Zeit begann sich die Sichtweise der Stadt auf Julia zu verändern. Einige entschuldigten sich, während andere ihre Skepsis beibehielten. Die Tage vergingen mit stummem Nicken der Anerkennung, geflüsterten Worten des Bedauerns und verständnisvollem Lächeln. Die eisige Feindseligkeit begann zu schmelzen, und Julia konnte aufatmen.
Langsam aber sicher setzte der Heilungsprozess ein. Julia, Lucy und Billy begannen, sich von ihren emotionalen Narben zu erholen. Das Lachen der Kinder erfüllte wieder das Haus, und ihr Leben stand nicht mehr unter dem Schatten der Verurteilung durch die Stadt. Die allmähliche Akzeptanz der Stadt wirkte wie eine beruhigende Salbe für ihre verwundeten Herzen.
Die Wochen vergingen und Julia, Lucy und Billy blickten hoffnungsvoll in die Zukunft. Auch die Stadtbewohner, die sich nun mit der Wahrheit abfinden mussten, heilten, lernten und entwickelten sich weiter. Die Stadt fühlte sich allmählich wieder wie ein Zuhause an, und die Vergangenheit rückte langsam in weite Ferne.
Als Julia in der Stille der Nacht saß, dachte sie über ihre Reise nach. Sie erinnerte sich an die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, an die Anschuldigungen, die sie überstanden hatte, und daran, wie all dies ihr eine unerwartete Familie beschert hatte. Als sie Lucy und Billy friedlich schlafen sah, war sie sich sicher, dass sie alles noch einmal tun würde, wenn sie müsste.
Am Ende gelang es Julia nicht nur, die Kinder, die sie über alles liebte, zu beschützen, sondern sie vermittelte ihrer Gemeinde auch behutsam Lektionen in Sachen Mitgefühl und Verständnis. Voller Hoffnung hoffte sie, einen Wandel herbeigeführt zu haben, und glaubte, dass ihre Stadt dadurch zu einem besseren, freundlicheren Ort werden würde.
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