Der Wald dehnte sich endlos vor Henry aus, seine schneebedeckten Bäume warfen lange Schatten in das fahle Winterlicht. Das Knirschen seiner Stiefel auf dem gefrorenen Boden war das einzige Geräusch, das er hörte, als er tiefer in den Wald vordrang, während die stille Einsamkeit an den Rändern seiner Gedanken nagte.
Er blieb abrupt stehen, und sein Atem stockte, als das Licht auf etwas Unnatürlichem vor ihm glitzerte. Ein massiver Eisblock stand am Flussufer, seine glatte Oberfläche schimmerte schwach im schwachen Sonnenlicht. In seinem Inneren zeichnete sich eine schattenhafte Gestalt ab, verzerrt und unerkennbar unter den Schichten des Frosts.
Der Wald um ihn herum fühlte sich plötzlich lebendig an, und zwar nicht auf eine beruhigende Weise. Er wusste, dass etwas nicht stimmte, als sich ein ungutes Gefühl in seinem Magen einstellte. Aber er ahnte nicht, dass sein Bauchgefühl sich als völlig richtig herausstellen würde. Er stand kurz davor, eine Entdeckung zu machen, die sein Leben auf den Kopf stellen würde.
Henry Calloway hatte die ruhige Abgeschiedenheit seiner Waldhütte immer sehr genossen. Als pensionierter Lehrer und Witwer fand er Trost in der Einfachheit seiner täglichen Routine. Er wachte vor dem Morgengrauen auf, zündete den Holzofen an und brühte sich eine Kanne starken schwarzen Kaffee.
Das knisternde Feuer und der schwache Duft von Kiefernharz waren ein kleiner Trost in den ansonsten strengen Wintern von Pine Hollow. Die von seinem Großvater erbaute Hütte lag am Rande einer weiten Wildnis, wo sich die hoch aufragenden Kiefern endlos bis zum Horizont zu erstrecken schienen.
Für Henry war die Hütte nicht nur ein Zuhause, sondern auch ein Zufluchtsort, ein Ort, an dem er mit sich und der Welt im Reinen sein konnte. Seine Tage drehten sich um die Pflege des Landes und der kleinen Herde von Tieren, die ihm Gesellschaft leisteten.
An diesem Morgen schien die Kälte noch schärfer zu sein, sie schnitt wie ein Messer durch die Luft. Der Frost klebte an den Fenstern und bildete verschlungene Muster, die im fahlen Licht der Morgendämmerung glitzerten. Henry saß am Küchentisch, trank seinen Kaffee und blickte auf die schneebedeckte Landschaft hinaus.
Der Himmel war von einem schweren Grau, das auf einen bevorstehenden Sturm hindeutete. Die Stimme des Wetterfroschs hallte in seinen Gedanken wider: “Heute Nacht wird in Pine Hollow ein erheblicher Schneefall erwartet. Zieht euch warm an, Leute – es wird kalt werden.”
Nach dem Frühstück schlüpfte Henry in seinen dicksten Mantel, Handschuhe und Stiefel und wappnete sich gegen die klirrende Kälte. Draußen heulte der Wind leise, eine Erinnerung an den Sturm, der sich am Horizont zusammenbraute. Er trat auf den gefrorenen Boden hinaus, sein Atem bildete Nebelwolken in der frischen Luft.
Er fütterte die Hühner, wobei er das Getreide über den schneebedeckten Hof verstreute, und vergewisserte sich, dass der Wassertrog der Schafe nicht vereist war. Die Tiere schienen unruhig zu sein und wälzten sich unruhig hin und her, als spürten sie den nahenden Sturm. Henry arbeitete schnell, wobei die Kälte sogar durch seine Handschuhe an seinen Fingern nagte.
Sobald die Tiere versorgt waren, wandte Henry seine Aufmerksamkeit dem Holzstapel zu. Während er durch den knietiefen Schnee zur Rückseite der Hütte stapfte, murmelte er etwas über die Kälte. Als er den Holzstapel erreichte, runzelte er die Stirn.
Was einst ein turmhoher Stapel sauber gespaltener Holzscheite gewesen war, bestand jetzt nur noch aus ein paar Nachzüglern, die kaum ausreichten, um das Feuer den ganzen Tag über am Brennen zu halten. Henry rieb seine Hände aneinander, sein Atem bildete Nebelschwaden.
Er konnte sich nicht erinnern, dass das Holz so schnell verbrannt war, aber es hatte keinen Sinn, sich jetzt zu beschweren. Der Sturm würde nicht warten, und er konnte es auch nicht. “Ich schätze, es ist Zeit, an die Arbeit zu gehen”, sagte er zu niemandem speziell.
Er ging zum Schuppen, schnappte sich seine Axt und machte sich auf den Weg in den Wald. Das leise Rauschen des Windes kroch durch die Bäume und erinnerte ihn an die Stunden, die er noch hatte, bevor der Sturm kam.
Mit der Axt über der Schulter und dem Schlitten im Schlepptau machte sich Henry auf den Weg in den Wald, fest entschlossen, genug Brennholz zu sammeln, um den kommenden Schnee zu überstehen. Er ahnte nicht, dass sein Morgen eine Wendung nehmen würde, die er nie hätte kommen sehen.
Der Wald begrüßte ihn in seiner üblichen Stille, die einzigen Geräusche waren das Knirschen des Schnees unter seinen Füßen und das gelegentliche Rascheln eines Eichhörnchens, das durch die Bäume huschte. Auf dem Weg zu seinem Lieblingsplatz zum Holzhacken dachte Henry an die Geschichten, die ihm seine Großmutter immer erzählt hatte.
Über den Wald und die verschiedenen Tiere, die das Land beschützten. Obwohl er nicht an Tiere glaubte, die so etwas taten, brachte ihn die unheimliche Stille des Waldes manchmal zum Nachdenken. Als Henry seine Axt gegen einen umgestürzten Baumstamm schwang, fiel ihm etwas Ungewöhnliches auf.
Durch die dichte Baumgruppe vor ihm flackerte ein seltsames, schimmerndes Licht. Es war schwach, aber es hob sich von dem gedämpften Weiß und Grau der Winterlandschaft ab. Stirnrunzelnd richtete er sich auf und wischte sich über die Stirn.
“Was ist das jetzt?”, murmelte er. Die Neugier übermannte ihn, und er legte seine Axt ab und stapfte auf das Licht zu. Henry folgte dem Schimmer durch die Bäume, bis er eine kleine Lichtung betrat. Dort, halb vergraben in einem Haufen aus Schnee und Eis, lag etwas, das er nicht ganz verstehen konnte.
Was er sah, ließ ihn innehalten. In der Mitte der Lichtung lag ein Eisblock, dick und klar wie Glas. Er stand aufrecht, als hätte die Natur ihn absichtlich dort platziert, ein stilles Denkmal im Schnee.
Im Inneren des Eisblocks befand sich eine schemenhafte Gestalt – ein Wesen, dessen Form durch den Frost, der an der inneren Oberfläche haftete, verdeckt wurde. Henry konnte Gliedmaßen und vielleicht einen Kopf ausmachen, aber die Details gingen in dem trüben, verzerrten Frost verloren.
Der Mangel an Klarheit machte es noch beunruhigender. Was auch immer in dem Eis eingeschlossen war, schien größer und bedrohlicher zu sein als alles, was ihm im Wald je begegnet war. Sein Herz klopfte gegen seinen Brustkorb, als er näher kam, und sein Atem bildete blasse Wolken in der kalten Luft.
Der Eisblock strahlte eine unnatürliche Stille aus, als ob die Zeit um ihn herum stehen geblieben wäre. Henry streckte eine behandschuhte Hand aus und zögerte einen Moment, bevor er die Oberfläche berührte. Es war kälter als alles, was er je gefühlt hatte, so als gehöre das Eis nicht zur natürlichen Welt.
Ein Schauer lief ihm über den Rücken, nicht wegen der Kälte, sondern wegen der seltsamen Energie, die von der gefrorenen Masse auszugehen schien. Er trat einen Schritt zurück, wobei seine Augen die schattenhafte Gestalt nicht verließen. Sie schien fast lebendig zu sein und in vollkommener Stille zu verharren.
Der Frost und die Unebenheiten des Eises spielten seinem Verstand Streiche und erzeugten die Illusion von Bewegung – eine Kopfbewegung, ein Zucken eines Gliedes. Aber das war unmöglich, nicht wahr? Es musste aber so sein. Eine Million Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er zu begreifen versuchte, was er da sah.
“Ich habe schon oft dickes Eis gesehen, aber was ist das überhaupt?”, fragte er sich, als er sich dem riesigen Eisbrocken vor ihm näherte. “Was bist du?” Murmelte Henry, seine Stimme war kaum zu hören, weil der Wind leise durch die Bäume pfiff.
Er war nicht der Typ, der sich leicht erschreckt, aber das hier war anders als alles, was ihm in seinen sechzig Lebensjahren je begegnet war. Der logische Teil seines Verstandes drängte ihn, das Ding dort zu lassen, wo es war, und sich wieder dem Brennholzhacken zu widmen. Doch die Neugierde, dieser hartnäckige menschliche Impuls, ließ ihn nicht los.
Nach einem Moment fasste er einen Entschluss. Was auch immer dieses Ding war, es gehörte nicht hierher, mitten ins Nirgendwo, wo es den Elementen ausgesetzt war. Zumindest war es ein Rätsel, das gelöst werden musste – und das vielleicht eine Antwort brachte, die es wert war, mit anderen geteilt zu werden.
Henry holte seinen Schlitten, der nicht weit von der Lichtung entfernt war, und zog ihn näher an den Eisblock heran. Er legte eine Plane aus, um den Schlitten vor den scharfen Kanten des Eises zu schützen, und kippte den Block auf die Seite.
Er war schwerer, als er erwartet hatte, das Gewicht drückte in seine Hände und zwang ihn, seine Stiefel in den Schnee zu rammen, um sich abzustützen. Nach mehreren Versuchen rutschte das Eis schließlich mit einem dumpfen Schlag auf den Schlitten, der den gefrorenen Boden vibrieren ließ.
Keuchend vor Anstrengung richtete sich Henry auf und holte tief Luft. Seine Hände zitterten leicht, und sein Herz raste immer noch, ob wegen der körperlichen Anstrengung oder wegen des Wesens im Eis, konnte er nicht sagen.
“Nun”, murmelte er vor sich hin, “dann bringe ich dich wohl nach Hause.” Er schnappte sich das Seil des Schlittens und begann, ihn durch den Schnee zu ziehen. Das zusätzliche Gewicht machte die Fahrt beschwerlich, und der Schlitten zog tiefe Furchen in die weiße Fläche hinter ihm.
Die Bäume um ihn herum knarrten und ächzten in der Kälte, und er wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Alle paar Schritte warf er einen Blick zurück auf den Eisblock, halb in der Erwartung, dass sich die schattenhafte Gestalt darin rührte.
Der Wald schien jetzt anders zu sein, irgendwie schwerer, als ob die Anwesenheit des Eises sein Gleichgewicht verschoben hätte. Das gelegentliche Knacken eines Zweigs oder das Rascheln des Schnees auf einem überhängenden Ast ließ seinen Puls in die Höhe schnellen. Aber er ging weiter, seine Entschlossenheit überwog sein Unbehagen.
Als die Hütte in Sicht kam, brannten Henrys Beine von der Anstrengung, und der Schweiß rann ihm trotz der eisigen Temperatur den Nacken hinunter. Er hielt inne, um zu Atem zu kommen, stützte sich auf die Griffe des Schlittens und starrte auf das Eis.
Die schattenhafte Gestalt war immer noch da, unbeweglich, aber ihre Form schien sich im schwindenden Licht leicht zu verändern. War es seine Einbildung? Er schüttelte den Kopf und versuchte, das schleichende Unbehagen zu vertreiben.
Als er die Hütte erreichte, manövrierte er den Schlitten auf die hintere Veranda, wo er den Eisblock abladen konnte, ohne ihn den Elementen auszusetzen. Mit einem Brecheisen brachte er den Eisblock vorsichtig gegen eine verstärkte Holzplanke in Position.
Es war nicht perfekt, aber es würde das Eis sicher halten, während er sich seine nächsten Schritte überlegte. Als er zurücktrat, betrachtete er die gefrorene Gestalt noch einmal. Die vereiste Oberfläche machte es unmöglich, die Kreatur zu identifizieren, und die verzerrten Schatten in ihrem Inneren schürten nur seine Neugierde. War es eine Art Wolf? Oder etwas viel Fremderes?
Henry rieb seine behandschuhten Hände aneinander und starrte auf den Block. Der Sturm kam schnell näher, und er musste sich darauf konzentrieren, sich auf die Nacht vorzubereiten. Aber er wusste, dass er das Bild dieser schattenhaften Gestalt nicht aus seinem Kopf würde vertreiben können.
“Ich schätze, wir sitzen jetzt im selben Boot”, murmelte er und ging zurück in die Hütte, um seine Gedanken zu sammeln. Henry wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er den Schlitten die letzte Steigung hinauf zu seiner Hütte zog.
Der Eisblock mit seinem geheimnisvollen, schattenhaften Inhalt lag schwer auf dem Schlitten, und die Anstrengung, ihn durch den Schnee zu ziehen, hatte seine Muskeln schmerzen lassen. Die schattenhafte Gestalt darin hatte sich nicht bewegt – natürlich konnte sie sich nicht bewegen -, aber jedes Mal, wenn er einen Blick auf sie warf, wurde seine Fantasie wach.
Als er die Lichtung bei seiner Hütte erreichte, manövrierte er den Schlitten auf die Schattenseite der Veranda. Unter Aufbietung aller Kräfte kippte er den Block auf den Schnee und deckte ihn zum Schutz mit einer Plane ab. Die Kälte würde ihn vor dem Schmelzen bewahren, während er sich seinen nächsten Schritt überlegte.
Er lehnte sich einen Moment zurück, die Hände in die Hüften gestemmt, und starrte auf die gewaltige Gestalt, die vom Eis umschlossen war. Der Frost klebte noch immer an der inneren Oberfläche und machte es unmöglich, genau zu erkennen, mit welcher Art von Kreatur er es zu tun hatte. “Was auch immer du bist”, murmelte er, “du bleibst nicht lange allein hier draußen.”
Henry stapfte mit seinen Stiefeln auf die Verandastufen und betrat die Hütte, dankbar für die Wärme des in der Ecke knisternden Holzofens. Er schüttelte die Kälte aus seinem Mantel und griff nach dem Telefon auf dem Tresen.
Es gab nur eine Person, der er vertraute und die ihm helfen konnte, diese Entdeckung zu verstehen: seine Cousine Sophie Clarke. Sophie war eine Ökologin, die jahrelang die arktischen Ökosysteme untersucht hatte. Obwohl sie jetzt in Pine Hollow lebte, hatte sie an Forschungsexpeditionen bis zur Ellesmere-Insel teilgenommen.
Wenn ihm jemand helfen konnte, herauszufinden, was er gefunden hatte, dann war sie es. Das Telefon läutete zweimal, bevor Sophie abnahm, ihre vertraute Stimme klang überrascht. “Henry? Du rufst mitten am Tag an? Was ist der Anlass?”
Henry gluckste nervös. “Sophie, du wirst es nicht glauben. Ich habe draußen im Wald etwas gefunden – einen Eisblock. Aber es ist nicht nur Eis. Da ist etwas drinnen.” “Was meinst du mit ‘etwas’?” Fragte Sophie, und ihr Tonfall wechselte zu Neugierde.
“Ein Wesen”, sagte Henry und senkte seine Stimme. “Ich kann es nicht genau sehen, es ist ganz vereist. Aber es ist groß, und es ist kein Tier, das ich bisher gesehen habe.” Am anderen Ende der Leitung gab es eine lange Pause. Dann sagte Sophie: “Du machst Witze, oder?”
“Ich meine es ernst, Sophie. Es ist direkt vor der Hütte. Du musst es dir unbedingt ansehen.” Sophie seufzte, aber in ihrer Stimme lag auch eine Spur von Aufregung. “In Ordnung, ich werde in einer Stunde da sein. Rühr es nicht an und mach keine Dummheiten, bis ich da bin.” Henry lachte. “Ich verspreche nichts.”
Nachdem er mit Sophie aufgelegt hatte, konnte Henry nicht widerstehen, ein paar seiner Freunde von seiner Entdeckung zu erzählen. Er rief Russ an, den örtlichen Mechaniker, der immer für ein gutes Rätsel zu haben war. “Wahrscheinlich nur ein Bär”, spottete Russ, als Henry den Eisblock beschrieb. “Er wurde von einem Tauwetter überrascht und ist eingefroren.”
Henry rollte mit den Augen, konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen. “Was auch immer es ist, ich werde es mir mit Sophie genauer ansehen, wenn sie hier ist. Du kannst gerne vorbeikommen.” Henry schritt in seiner kleinen Küche hin und her und schaute alle paar Minuten aus dem vereisten Fenster.
Der Eisblock stand draußen, sein düsterer Inhalt war unter einer eilig befestigten Plane versteckt. Er hatte überlegt, ob er noch mehr Leute anrufen sollte, aber das Gewicht der Entdeckung – und das mögliche Chaos – veranlassten ihn, die Dinge ruhig anzugehen. Im Moment war Sophie die einzige Person, der er vertraute und die ihm helfen konnte, den Sinn der Sache zu verstehen.
Endlich fuhren die Scheinwerfer über die verschneite Einfahrt. Sophies Wagen kam knirschend zum Stehen, und sie stieg aus, eingemummt in ihren dicken Winterparka, den Rucksack über eine Schulter gehängt. Ihr Atem blähte sich in der eisigen Luft auf, als sie winkte.
“In Ordnung, Henry”, rief sie, ihre Stimme war warm, aber auch von Neugier geprägt. “Worum geht es hier?” Henry kam ihr auf halbem Weg entgegen und wies mit einer Geste auf die Seite der Hütte. “Du musst es sehen, um es zu glauben.” Sophie kniete sich neben den Eisblock und ihr Atem stockte, als sie die Plane zurückzog.
“Whoa”, murmelte sie und ihre Augen weiteten sich. “Das ist … bemerkenswert.” Die mattierte Oberfläche verdeckte viel von dem, was sich im Inneren befand, aber selbst in ihrem verschwommenen Zustand wirkte die Figur seltsam. Ihre Größe und Proportionen schienen nicht zu stimmen, und die schwachen Umrisse von geweihartigen Strukturen waren kaum zu erkennen.
“Dieses Eis ist uralt”, sagte Sophie und fuhr mit einer behandschuhten Hand über die Oberfläche. “Sieh dir die Klarheit an – es ist wie Gletschereis. Und was auch immer sich darin befindet … es ist schwer zu sagen. Es ist durch den Frost und die Lichtbrechung verzerrt.”
Henry hockte sich neben sie, sein Atem bildete Wolken in der eisigen Luft. “Es liegt da draußen im Wald und wartet nur darauf, gefunden zu werden. Was denkst du, was es ist?” Sophie zog einen kleinen Scanner aus ihrem Rucksack und begann, ihn über die Oberfläche zu führen.
“Das kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen. Es könnte ein Tier sein, das in einer Gefrierzelle gefangen wurde – vielleicht etwas Prähistorisches. Aber die Struktur des Körpers passt nicht zu dem, was man hier im Wald sieht.” Henry fröstelte, teils wegen der Kälte, teils wegen des seltsamen Unbehagens, das ihm das Eis bereitete.
“Glaubst du, es ist gefährlich?” Sophie blickte ihn an, mit ernstem, aber interessiertem Blick. “Es ist schwer vorstellbar, dass so etwas Gefrorenes noch lebt, aber … wir können nichts ausschließen. Das Eis konserviert es, also ist es möglich, dass wir mehr erfahren, wenn es auftaut. Aber ich werde Hilfe brauchen.”
Zurück in der Hütte kochte Henry Kaffee, während Sophie am Küchentisch saß, sich Notizen machte und die Scans ihrer Ausrüstung überprüfte. Draußen heulte der Wind, und das Feuer im Holzofen warf flackernde Schatten in den Raum.
“Das übersteigt mein Fachwissen”, gab Sophie zu und setzte ihren Stift ab. “Ich kenne Leute, die sich auf Glaziologie und Paläobiologie spezialisiert haben. Wenn uns jemand helfen kann, das herauszufinden, dann sie.” “Du wirst sie anrufen?” Fragte Henry und reichte ihr einen dampfenden Becher mit Kaffee.
Sie nickte. “Ja. Ich habe ein paar Kollegen, die die Gelegenheit nutzen würden, um so etwas zu untersuchen. Ich muss ihnen diese Scans und Fotos schicken, um ihre Meinung einzuholen. Das könnte … nun, es könnte eine große Entdeckung sein.”
Henry setzte sich ihr gegenüber und ließ das Gewicht ihrer Worte auf sich wirken. “Glaubst du, dass es Pine Hollow viel Aufmerksamkeit bringen wird?” Sophie lächelte wohlwollend. “Vielleicht, aber wir gehen einen Schritt nach dem anderen. Im Moment ist es draußen sicher, und die Kälte wird es stabil halten. Ich werde mich heute Abend mit meinem Team in Verbindung setzen.”
Am nächsten Morgen hatte Sophie ihre Scans und Fotos bereits an zwei ihrer Kollegen gemailt: Dr. Clara Reynolds, eine Glaziologin aus Ottawa, und Dr. Victor Yates, ein Paläobiologe aus Vancouver. Beide hatten fast sofort geantwortet.
Claras Antwort enthielt viel Fachchinesisch über das Eis selbst und bestätigte Sophies Verdacht, dass es uralt war – wahrscheinlich Tausende von Jahren alt. Aber es war Victors Antwort, die ihre Aufmerksamkeit erregte.
Die Nachricht lautete: “Sophie, das könnte bahnbrechend sein. Von den groben Umrissen her ähnelt es keiner modernen Spezies, die ich kenne. Ich brauche mehr Daten, aber es ist möglich, dass es sich um ein Überbleibsel einer prähistorischen Spezies handelt – oder um etwas, das wir noch nie gesehen haben.”
Henry las die E-Mail über Sophies Schulter und stieß einen leisen Pfiff aus. “Das ist … etwas.” Sophie sah zu ihm auf, ihre Augen leuchteten vor Aufregung. “Henry, das könnte größer sein, als wir dachten.”
Der Wind heulte in dieser Nacht vor der Hütte und versprach ein noch kälteres Morgengrauen. Henry machte das nichts aus; die eisigen Temperaturen waren genau das, was er brauchte. Sophies Abschiedsworte hallten in seinem Kopf nach: “Halte es kalt. Wenn das Eis bricht oder ungleichmäßig schmilzt, könnte es dem Inhalt schaden.”
Er hatte alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen, zusätzliche Planen über den Eisblock gelegt und ihn vom Haus entfernt aufgestellt, um sicherzustellen, dass die Wärme des Holzofens ihn nicht erreichen würde. Aber trotz dieser Maßnahmen wurde er sein Unbehagen nicht los. Was, wenn sich das Wetter plötzlich erwärmte? Was, wenn ein Tier die Plane verletzte?
Henry stellte seinen Wecker so ein, dass er alle paar Stunden geweckt wurde, und war fest entschlossen, die ganze Nacht über nach dem Eis zu sehen. Jedes Mal, wenn er mit einer Taschenlampe in der Hand nach draußen trat, schien die schattenhafte Gestalt im Inneren des Blocks so still und rätselhaft wie zuvor.
Er ertappte sich dabei, dass er ihr etwas zuflüsterte, als ob die Kreatur ihn hören könnte. “Halte durch.” Am Vormittag kehrte Sophie zurück, ihr Lastwagen rumpelte die verschneite Einfahrt hinauf. Diesmal war sie nicht allein.
Zwei weitere Personen kletterten aus dem Fahrzeug: Dr. Clara Reynolds, eine scharfäugige Frau mit silbernem Haar, die wie eine erfahrene Glaziologin aussah, und Dr. Victor Yates, ein schlaksiger Paläobiologe, dessen Enthusiasmus in jeder Geste zum Ausdruck kam.
“Henry!” Begrüßte Sophie ihn und wies mit einer Geste auf die anderen. “Das sind Clara und Victor. Sie sind genau so neugierig wie wir.” Clara gab ihm einen festen Händedruck. “Sie haben hier einen tollen Fund gemacht, Mr. Calloway.”
Victor, der seine Begeisterung kaum unterdrücken konnte, mischte sich ein: “Und Sie haben ihn kalt gestellt, richtig? Keine Risse?” Henry nickte und führte sie an die Seite der Hütte. “Es ist alles intakt. Trotzdem bekomme ich jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich ihn ansehe.”
Als sie den Eisblock freilegten, tauschten Clara und Victor Blicke aus, deren Ausdruck eine Mischung aus Ehrfurcht und professioneller Neugierde war. “Das ist außergewöhnlich”, murmelte Clara und fuhr mit ihrer Hand über die vereiste Oberfläche.
“Allein die Eisbildung deutet darauf hin, dass dies seit Jahrtausenden erhalten ist Victor rückte seine Brille zurecht und blinzelte auf die schemenhafte Gestalt. “Diese Proportionen… das ist definitiv nicht modern. Aber ich muss mehr sehen, um zu bestätigen, was wir hier sehen.”
Mit tragbaren Geräten begannen Clara und Victor, den Eisblock zu scannen, seine Dichte zu messen und detaillierte Fotos zu machen. Sophie half ihnen dabei und übersetzte Henry den Fachjargon, während sie arbeiteten.
“Das größte Risiko”, erklärte Clara, “ist das ungleichmäßige Schmelzen. Wenn das Eis plötzlich bricht, könnte es die Probe beschädigen – oder schlimmer noch, sie völlig destabilisieren.” Henry nickte, seine Angst brodelte unter der Oberfläche. “Wie lautet also der Plan?”
“Wir werden es kühl halten und in eine kontrollierte Umgebung transportieren”, sagte Sophie. “Aber wir müssen uns erst ein Bild davon machen, was sich darin befindet, bevor wir es transportieren.” Mit Claras Erfahrung in der Eiskonservierung und Victors Fähigkeit, prähistorische Arten zu identifizieren, arbeitete das Team bis spät in die Nacht.
Als sie den Tag beendeten, hatten sie genug Daten, um eine vorläufige Identifizierung vorzunehmen. Am nächsten Morgen stieß Henry zum Team, das sich um einen tragbaren Monitor versammelte. Victor grinste wie ein Kind an Weihnachten und tippte auf den Bildschirm.
“Anhand der Scans und der Proportionen bin ich mir fast sicher, dass wir es mit einem prähistorischen Bodenfaultier zu tun haben. Wahrscheinlich aus der Pleistozän-Epoche.” Henry blinzelte. “Ein Faultier? Du willst mir erzählen, dass das Ding da draußen ein Riesenfaultier ist?”
Victor lachte. “Nicht ganz die baumbewohnenden, die du kennst, aber ja – ein prähistorischer Verwandter. Diese Kreaturen waren riesig und durchstreiften diesen Teil des Kontinents vor Tausenden von Jahren.”
Sophie fügte hinzu: “Das ist ein unglaublicher Fund, Henry. Faultiere sind schon lange ausgestorben, aber das Eis hat dieses Exemplar perfekt konserviert. Das könnte das beste Exemplar sein, das man je gesehen hat.” Henry musste kichern, und Erleichterung durchflutete ihn.
“Ich habe mir die ganze Woche Sorgen gemacht, dass es eine Art Monster ist. Aber ein Faultier – das ist fast… charmant.” Nachdem der Eisblock stabilisiert war, koordinierte das Team mit einer Universität den sicheren Transport in ein Speziallabor.
Die Aktion erregte die Aufmerksamkeit der Medien, und schon bald wimmelte es in Pine Hollow von Reportern und Wissenschaftlern, die mehr über die Entdeckung erfahren wollten. Für Henry war diese Erfahrung surreal. Seine ruhige Hütte wurde zum Epizentrum eines einmaligen Ereignisses.
Er freute sich zwar, dass das Faultier an einen Ort gebracht wurde, an dem es ordnungsgemäß untersucht und konserviert werden konnte, aber er war auch ein wenig stolz. Seine kleine Stadt, die einst nur für ihre Wälder und ihren Schnee bekannt war, stand nun als Ort eines außergewöhnlichen Fundes auf der Landkarte.
Monate später wurde das konservierte Faultier zum Mittelpunkt einer Ausstellung in einem Naturkundemuseum und zog Besucher aus dem ganzen Land an. Die Entdeckung brachte Pine Hollow nicht nur Anerkennung ein, sondern weckte auch ein neues Interesse an der Naturgeschichte der Region.